Kristin Lavranstochter 1
er strebte, aus der Sünde herauszukommen, ebenso schwer anrechnet wie die Jahre, in denen er in der Sünde gelebt hat.“
„Jesus Maria!“ rief Ragnfrid und schlug die Hände zusammen. „Was ist aus dir geworden! Hat nicht einmal das deinen Sinn zu ändern vermocht!“
„Nein“, sagte Kristin. „Ich habe den Sinn nicht geändert.“
Da blickte Lavrans, der auf der Bank bei Ulvhild saß, auf. „Das habe auch ich nicht, Kristin“, sagte er gedämpft.
Aber Kristin wußte in ihrem Herzen, daß sie in einer Weise den Sinn geändert hatte, wenn auch nicht den Sinn, so doch die Anschauung. Sie hatte Botschaft über den Verlauf jener Unglücksfahrt erhalten. Es war leichter gegangen, als man hatte erwarten dürfen. Ob sich nun die Kälte in die Wunde gesetzt hatte oder wovon es auch kam, der Messerstich, den Erlend in die Brust erhalten hatte, hatte sich verschlimmert; er mußte eine Zeitlang in der Herberge auf Roaldstad krank zu Bett liegen. Herr Björn hatte ihn in diesen Tagen gepflegt. Aber dadurch, daß Erlend verwundet war, war es leichter, das andere zu erklären und glaubhaft zu machen.
Als er weiterfahren konnte, brachte er die Tote in einem Sarg bis nach Oslo. Dort hatte er durch Sira Jons Vermittlung einen Grabplatz für sie auf dem Kirchhof der abgerissenen Nikulauskirche erhalten, und dann hatte er dem Bischof in Oslo selbst gebeichtet, und dieser hatte ihm auferlegt, zum Heiligen Blut in Schwerin zu wallfahrten. Jetzt war er außer Landes gezogen.
Sie konnte nirgendshin wallfahrten und Erlösung finden. Für sie hieß es dasitzen, warten und grübeln und versuchen, im Widerstand gegen die Eltern auszuharren. Es fiel ein seltsam winterkaltes Licht auf alle Erinnerungen an ihre Zusammenkünfte mit Erlend. Sie dachte an seine Gewalttätigkeit - in Liebe und in Kummer -, und es schien ihr, hätte sie vermocht, alle Dinge ebenso heftig zu nehmen und sogleich mit ihnen dahinzustürmen wie er, da wären sie ihr nachher vielleicht kleiner und leichter zu ertragen gewesen. Es kam vor, daß sie dachte, vielleicht gebe Erlend sie auf. Es dünkte sie, als habe sie wohl immer eine leise Furcht davor gehegt, er könnte sie aufgeben, wenn es zu schwierig werden würde. Aber sie wollte ihn nicht aufgeben, ohne daß er selbst sie von allen Eiden freisprach.
So ging es dem Ende des Winters zu. Und Kristin konnte sich nicht mehr länger täuschen, sondern mußte erkennen, daß sie nun die schwerste aller Prüfungen erwartete, denn jetzt hatte Ulvhild nicht mehr viele Tage zu leben. Und mitten in ihrem bitteren Kummer über die Schwester sah sie mit Grauen, daß ihre eigene Seele von der Sünde wahrlich verwirrt und verzehrt war. Denn trotz dem sterbenden Kinde und obwohl sie die unsägliche Trauer der Eltern vor Augen hatte, mußte sie immer an dies eine denken: wenn Ulvhild stirbt, wie soll ich es da ertragen, den Vater anzusehen, ohne mich vor ihn hinzuwerfen, ihm alles zu beichten und ihn zu bitten, mir zu verzeihen und mit mir zu tun, was er will.
Sie waren in der Fastenzeit. Die Leute schlachteten die kleinen Viehbestände, die sie zu retten gehofft hatten, damit die Tiere doch nicht von selber verenden sollten. Und die Menschen wurden krank von all dem Fisch, von dem sie sich nährten, und von der wenigen und elenden Mehlkost dazu. Sira Eirik befreite die ganze Gemeinde von dem Verbot der Milchspeisen. Aber die Leute hatten kaum einen Tropfen Milch.
Ulvhild lag im Bett. Sie lag allein im Bett der Töchter, und jede Nacht wachte jemand bei ihr. Es konnte geschehen, daß der Vater und Kristin miteinander bei ihr saßen. In einer solchen Nacht sagte Lavrans zur Tochter:
„Erinnerst du dich, was Bruder Edvin über Ulvhilds Schicksal sagte? Ich dachte schon damals, daß er vielleicht dieses hier meine. Aber da schob ich es von mir weg.“
In solchen Nächten sprach er bisweilen von dem und jenem aus der Zeit, in der die Kinder klein waren. Kristin saß bleich und verzweifelt da und begriff, daß der Vater hinter diesen Worten bei ihr bettelte.
Eines Tages war Lavrans mit Kolbein ausgezogen, um ein Bärenlager nördlich im Bergwald auszuheben. Sie kamen mit einer Bärin auf dem Schlitten heim, und Lavrans trug ein lebendes Bärenjunges im Kittel. Es machte Ulvhild ein wenig Spaß, als er es ihr zeigte. Aber Ragnfrid sagte, dies sei doch jetzt nicht die Zeit, ein solches Tier aufzuziehen, und was er denn jetzt damit wolle?
„Ich will es großziehen, um es vor der Kammer meiner Töchter anzubinden“,
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