Kristin Lavranstochter 1
rings um die Kirche zog. In dem Rahmen des Bogens zwischen den zwei kleinen Holzsäulen, bei denen sie stand und die sie umfaßt hielt, sah sie Jörundhof liegen und hinter ihrem Heim den blaßblauen Dunst über dem Tal. In der Sonne blitzte der Fluß weiß von Wasser und Eis durch das ganze Tal hinaus. Aber das Erlengebüsch an seinem Lauf entlang war gelbbraun von der Blüte, der Nadelwald war hier oben bei der Kirche auch schon frühjahrlich grün, und in dem Hain gleich in der Nähe plusterten und zwitscherten und pfiffen kleine Vögel. O ja, solch ein Vogelsang war jeden Abend nach Sonnenuntergang gewesen.
Und sie fühlte jene Sehnsucht, von der sie geglaubt hatte, sie sei jetzt aus ihr herausgequält, die Sehnsucht im Blut und im Körper, die rührte sich jetzt, zart und schwach, als erwache sie aus dem Winterschlaf.
Lavrans Björgulvssohn kam heraus und schloß die Kirchentür hinter sich ab. Er trat vor und blieb in der Nähe der Tochter stehen, blickte durch den nächsten Bogen über das Land hinaus. Sie sah, wie dieser Winter den Vater verheert hatte. Sie begriff selbst nicht, daß sie jetzt daran rühren konnte, aber es entfuhr ihr dennoch:
„Ist es wahr, was die Mutter vor kurzem sagte: du habest zu ihr gesagt - wäre es Arne Gyrdssohn gewesen, da hättest du mir willfahrt?“
„Ja“, antwortete Lavrans und blickte sie nicht an.
„Das sagtest du nicht, solange Arne lebte“, erwiderte Kristin.
„Davon war nie die Rede gewesen. Ich merkte wohl, daß der Junge dich gern hatte, aber er sagte nichts; und er war jung -und ich bemerkte nie, daß du so an ihn dachtest. Du konntest doch nicht erwarten, daß ich meine Tochter einem Manne anbieten würde, der nichts besitzt.“ Er lächelte flüchtig. „Aber ich hatte den Jungen gern“, sagte er leise. „Und hätte ich dich in Liebe zu ihm zerquält gesehen ...“
Sie blieben stehen und blickten hinaus. Kristin fühlte, daß der Vater sie ansah - sie bemühte sich, ruhig im Gesicht zu sein, aber sie merkte, wie weiß sie wurde. Da trat der Vater zu ihr hin, legte beide Arme um sie und preßte sie an sich. Er bog ihren Kopf zurück, sah der Tochter ins Gesicht und barg es wieder an seiner Schulter.
„Jesus Christus! Kleine Kristin, bist du denn so unglücklich?"
„Ich glaube, ich sterbe darüber, Vater“, sagte sie dicht an ihm.
Sie brach in Tränen aus. Aber sie weinte, weil sie in seinen Liebkosungen gefühlt und in seinen Augen gelesen hatte, daß er nun vom Kummer zermürbt war und seinen Widerstand nicht länger aufrechtzuerhalten vermochte. Sie hatte ihn überwunden.
Gegen Ende der Nacht erwachte sie davon, daß der Vater sie im Dunkeln an der Schulter berührte.
„Steh auf“, sagte er leise, „hörst du?“
Da hörte sie, daß es um die Ecken des Hauses sang - der tiefe volle Ton des von Feuchtigkeit gesättigten Südwindes. Es troff vom Dache, es flüsterte vom Regen, der auf weichen schmelzenden Schnee fiel.
Kristin warf das Kleid über und folgte dem Vater zur äußeren Tür. Zusammen standen sie da und blickten in die helle Mainacht hinaus. Warmer Wind und Regen schlugen ihnen entgegen - der Himmel war eine Welt von geballten, treibenden Regenwolken, es brauste aus den Wäldern, es pfiff zwischen den Häusern, und von den Bergen droben hörte man das dumpfe Dröhnen abstürzender Schneemassen.
Kristin suchte die Hand ihres Vaters und hielt sie fest. Er hatte sie gerufen und ihr dieses zeigen wollen. So war es früher zwischen ihnen gewesen, damals würde er es auch getan haben. Und jetzt war es wieder so.
Als sie wieder hineingingen, um sich schlafen zu legen, sagte Lavrans:
„Der fremde Mann, der in dieser Woche hier war, überbrachte mir einen Brief von Herrn Munan Baardssohn. Er gedenkt in diesem Sommer hierherauf zu kommen, um nach seiner Mutter zu schauen, und da bat er, ob er mich aufsuchen dürfe und mit mir sprechen könne.“
„Was werdet Ihr ihm antworten, mein Vater?“ flüsterte sie.
„Das kann ich jetzt nicht sagen“, erwiderte Lavrans. „Aber ich werde mit ihm sprechen, und dann werde ich so handeln, wie ich es glaube vor Gott verantworten zu können, meine Tochter.“
Kristin kroch wieder zu Ramborg ins Bett, und Lavrans legte sich neben sein schlafendes Weib. Er lag da und dachte daran, daß nur wenige Höfe im Tale so gefährdet wären wie Jörundhof, wenn die Überschwemmung stark und überraschend käme. Es ging die Rede von einer Prophezeiung, der zufolge der Fluß den Hof einmal mitreißen
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