Kristin Lavranstochter 1
drückte sein Gesicht an ihren Hals.
Aber am Tage tat sie, als sei nichts geschehen. Und jeden Morgen kleidete sie sich sorgfältig an, um noch eine kurze Zeit vor dem Hausgesinde zu verbergen, daß sie nicht mehr allein war.
Auf Husaby war es Sitte, daß nach der Abendmahlzeit das Gesinde sich in die Häuser zurückzog, wo es schlief. Dann saßen Kristin und Erlend allein in der Halle. Überhaupt waren die Bräuche hier auf dem Hof mehr wie in alten Tagen, als man noch Sklaven und Sklavenweiber zur Arbeit hatte. Es stand kein bodenfester Tisch in der Halle, sondern am Morgen und Abend wurde auf einem großen Brett aufgetischt, das über Böcke gelegt war, und nach der Mahlzeit wurde das Brett wieder an der Wand aufgehängt. Zu den anderen Mahlzeiten holten sich die Leute ihr Essen, setzten sich auf die Bänke und aßen dort. Kristin wußte, so war es früher der Brauch gewesen. Jetzt aber, da man nur noch schwer die Männer dazu bringen konnte, bei Tisch aufzuwarten, und da man allgemein sich mit Mägden zur Hausarbeit begnügen mußte, paßte dies nicht mehr
- die Frauen wollten sich nicht an den schweren Tischbohlen krank schleppen. Die Mutter, erinnerte sich Kristin, hatte erzählt, daß sie auf Sundbu, als sie erst acht Winter alt war, schon einen festen Tisch in die Stube bekamen, was den Frauen in jeder Beziehung ein großer Vorteil dünkte - jetzt brauchten sie nicht mehr mit aller Näharbeit in die Frauenstube hinauszugehen, sondern konnten in der Stube sitzen bleiben und dort zuschneiden und arbeiten; auch sah es so stattlich aus, wenn man stets Kerzenhalter und ein paar schöne Schalen auf dem Tisch stehen hatte. Kristin dachte, sie wollte Erlend zum Sommer um einen Tisch an der nördlichen Langwand bitten.
So war es daheim, und da hatte der Vater seinen Hochsitz am Tischende - die Betten aber standen an der Wand zum Vorraum. Ihre Mutter saß zuoberst auf der äußeren Bank, so daß sie hin und her gehen und das Auftragen der Speisen beobachten konnte. Nur wenn sie Gäste hatten, saß Ragnfrid an der Seite ihres Mannes. Hier aber war der Hochsitz mitten unter dem Ostgiebel, und Erlend wollte, daß sie immer neben ihm sitze. Daheim bot der Vater stets den Dienern Gottes den Platz im Hochsitz an, wenn solche Gäste auf Jörundhof waren, und er selbst und Ragnfrid warteten ihnen auf, während sie aßen und tranken. Das aber wollte Erlend nicht tun, außer wenn sie von hohem Rang waren. Er liebte die Priester und Mönche nicht sehr - es seien teure Freunde, meinte er. Kristin mußte daran denken, was der Vater und Sira Eirik stets sagten, wenn die Leute über die Geldgier der Kirchenmänner klagten: jedermann vergaß die sündige Freude, die er sich bereitet hatte, wenn er dafür bezahlen sollte.
Sie fragte Erlend nach dem Leben hier auf Husaby in früheren Zeiten. Aber er wußte merkwürdig wenig davon. Das und das habe er gehört, wenn er sich recht erinnere, aber er wisse es nicht mehr so genau. König Skule hatte den Hof besessen und hier Gebäude errichtet - hatte wohl die Absicht gehabt, Husaby zu seinem Wohnsitz zu machen, als er Rein dem Nonnenkloster schenkte. Erlend war sehr stolz darauf, daß sein Geschlecht vom Herzog abstammte, wie er den König stets nannte, und von dem Bischof Nikulaus; der Bischof war der Vater seines Großvaters Munan Bischofssohn gewesen. Aber Kristin schien es, er wisse nicht mehr über diese Männer, als ihr selbst von den Erzählungen ihres Vaters her bekannt war. Daheim war das anders. Weder der Vater noch die Mutter taten groß mit der Macht und dem Ansehen ihrer Ahnen. Aber sie sprachen oft von ihnen und stellten, was sie Gutes von den Vorfahren wußten, als ein Beispiel hin, oder sie erzählten von ihren Fehlern und von dem Übel, das daraus entstanden war, zur Warnung. Und sie wußten kleine lustige Geschichten - über Ivar Gjesling, den Alten, und seine Feindschaft mit König Sverre, über Ivar des Propstes rasche und witzige Antworten, über Haavard Gjeslings ungeheure Fettleibigkeit und über das wunderbare Weidmannsglück Ivar Gjeslings, des Jungen. Lavrans erzählte von dem Bruder seines Großvaters oder Vatervaters, der die Folkungejungfrau aus dem Kloster Vreta entführt hatte, von dem Großvater selbst, dem schwedischen Herrn Ketil, und von der Mutter seines Vaters, Ramborg Sunestochter, die sich stets nach Vestergautland heimsehnte und auf dem Venern mitsamt dem Schlitten durchs Eis gebrochen war, als sie einmal bei ihrem Bruder auf Solberga zu Gast
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