Kristin Lavranstochter 1
gewesen war. Er sprach von der Waffentüchtigkeit seines Vaters und dessen unsagbarer Trauer um seine erste junge Gattin, Kristin Sigurdstochter, die nach Lavrans’ Geburt im Kindbett gestorben war. Und er las aus einem Buch über seine Urahne vor, die heilige Frau Elin von Skövde, der die Gnade zuteil geworden war, Gottes Blutzeugin zu sein. Der Vater hatte oft gesagt, er wolle mit Kristin eine Pilgerfahrt zum Grabe dieser seligen Witwe machen. Aber es war nie etwas daraus geworden.
In ihrer Angst und Not versuchte Kristin zu dieser Heiligen zu beten, an die sie selbst mit Blutsbanden geknüpft war. Sie betete zu Sankta Elin für ihr Kind und küßte das Kreuz, das sie von ihrem Vater erhalten hatte; es waren darin ein paar Fasern von dem Totenhemd der Heiligen eingeschlossen. Aber Kristin fürchtete sich vor Sankta Elin, jetzt, da sie selbst ihre Sippe so geschändet hatte. Wenn sie zu Sankt Olav und Sankt Tomas um Fürbitte flehte, da fühlte sie oft ihre Klagen zu lebenden Ohren und mitleidigen Herzen dringen. Diese beiden Märtyrer der Gerechtigkeit liebte ihr Vater vor allen anderen Heiligen, ja sogar vor Sankt Laurentius selbst, nach dem er doch den Namen trug und dessen Tag im Spätherbst er oft mit einem großen Biergelage und reichen Gaben ehrte. Den heiligen Tomas hatte der Vater selbst eines Nachts, als er verwundet vor Baagahus lag, im Traum gesehen. Kein Mensch hätte zu schildern vermocht, wie lieblich und ehrwürdig der Heilige anzusehen war, und Lavrans hatte nichts anderes hervorbringen können als „Herre, Herre!“. Aber der strahlende Bischof hatte mit milder
Hand Lavrans’ Wunde berührt und ihm Leben und Genesung versprochen, so daß er sein Weib und seine Tochter Wiedersehen sollte, wie er es sich im Gebet gewünscht hatte. Damals aber hatte kein Mensch geglaubt, daß Lavrans Björgulvssohn die Nacht überstehen würde.
Ja, sagte Erlend. So etwas konnte man ja erzählen hören. Ihm sei nun nie derartiges widerfahren, und das sei wohl begreiflich - er sei ja auch kein frommer Mann so wie Lavrans.
Dann erkundigte sich Kristin nach den Leuten, die ihren Einzug mit ihnen gefeiert hatten. Erlend wußte auch über diese nicht viel zu sagen. Kristin fiel es auf, wie unähnlich ihr Mann dem Menschenschlag hier in den Tälern war. Viele unter ihnen waren schön mit ihren hellen und rotwangigen Gesichtern, aber sie hatten runde, harte Köpfe und waren kräftig und derb gewachsen, von den Alten waren viele übermäßig fett. Erlend hatte unter seinen Gästen wie ein fremder Vogel ausgesehen. Er war um einen Kopf größer als die meisten Männer, schmal und mager, mit schlanken Gliedmaßen und feinen Gelenken. Und er hatte seidenweiches schwarzes Haar, eine blaßbraune Haut - aber hellblaue Augen unter kohlschwarzen Brauen und beschattenden schwarzen Wimpern. Seine Stirn war hoch und schmal, die Schläfen eingesunken, die Nase ein wenig zu groß und der Mund ein wenig zu klein und zu weich für einen Mann, aber er war trotzdem schön; sie hatte keinen Mann gesehen, der nur halb so schön war wie Erlend. Selbst seine weiche, ruhige Stimme war den satten Stimmen der anderen unähnlich.
Erlend lachte und sagte, daß ja auch sein Geschlecht nicht von hier sei - mit Ausnahme der Urgroßmutter väterlicherseits, Ragnfrid Skulestochter. Die Leute sagten, er habe große Ähnlichkeit mit dem Vater seiner Mutter, Gaute Erlendssohn von Skogheim. Kristin fragte, was er über diesen Mann wisse. Aber er wußte fast nichts.
Dann war es eines Abends - Erlend und Kristin waren im Begriff, sich auszukleiden. Erlend konnte seinen Schuhriemen nicht lösen, er schnitt ihn ab, und das Messer fuhr ihm in die Hand. Er blutete stark und fluchte häßlich; Kristin holte einen Leinenlappen aus ihrem Schrein. Sie war im bloßen Hemd. Erlend legte seinen anderen Arm um ihre Mitte, während sie ihm die Hand verband.
Plötzlich sah er ihr entsetzt und verwirrt ins Gesicht - wurde selbst dabei glühend rot. Kristin beugte den Kopf.
Erlend zog seinen Arm zurück. Er sagte nichts - da ging Kristin still weg und kroch ins Bett. Ihr Herz schlug dumpf und hart gegen die Rippen. Dann und wann sah sie zu ihrem Mann hinüber. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, langsam zog er ein Kleidungsstück nach dem anderen aus. Dann kam er zum Bett und legte sich nieder.
Kristin wartete darauf, daß er reden würde. Sie wartete so, daß mitunter das Herz keinen Schlag zu tun schien, sondern in der Brust nur zitternd Stillstand.
Aber Erlend
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