Kristin Lavranstochter 1
hinunter...“
Seine Stimme war weich und flehend. Aber Kristin sprach weder, noch sah sie ihn an. Da stieß er im Gehen mit dem Fuß an das gefrorene Heidekraut.
„Nein, hier ist wohl nichts mehr von Gunnulvs und meiner Feste. Jaja, es ist auch lange her, seit wir uns hier herumtrieben und spielten, Gunnulv und ich ..."
Er erhielt keine Antwort. - Gleich unterhalb der Stelle, an der sie standen, war eine kleine gefrorene Wasserlache. Erlend hob einen Stein auf und warf ihn hinunter. Das Wasser war bis auf den Grund gefroren, so daß nur ein kleiner weißer Stern in dem schwarzen Spiegel entstand. Erlend nahm noch einen Stein und warf stärker - noch einen und noch einen, jetzt warf er im vollen Zorn und wollte um jeden Preis das ganze Eis zersplittern. Da fiel sein Blick auf das Gesicht seines Weibes, ihre Augen waren dunkel vor Verachtung, sie lächelte höhnisch über sein kindisches Gebaren.
Erlend wandte sich jäh um - aber Kristin wurde im selben Augenblick totenblaß, und ihre Augenlider fielen herab. Sie stand da und griff tastend in die Luft, schwankte, als sollte sie sinken - dann fand sie an einem Baumstamm Halt.
„Kristin - was ist dir?“ fragte er ängstlich.
Sie antwortete nicht, es war, als lausche sie auf etwas. Ihre Augen waren fern und seltsam. - Jetzt fühlte sie es wieder. Tief drinnen in ihrem Schoß war es, wie wenn ein Fisch mit der Schwanzflosse schlägt. Und wieder war es, als drehe sich die ganze Erde rings um sie, ihr wurde schwindelig und schwach, aber nicht so sehr wie das erstemal.
„Was ist mit dir?“ wiederholte Erlend noch einmal.
So sehr hatte sie auf dieses gewartet - hatte sich kaum zu ihrer großen Seelenangst zu bekennen gewagt. Sie konnte nicht darüber sprechen - jetzt, nachdem sie den ganzen Tag böse aufeinander gewesen waren. Nun sagte er es.
„War es das Kind, das sich in dir rührte?“ fragte er leise und legte ihr die Hand auf die Schulter.
Da warf sie allen Zorn von sich, schmiegte sich an den Vater und barg ihr Gesicht an seiner Brust.
Eine Weile später gingen sie wieder zu der Stelle hinunter, wo ihre Pferde angebunden standen. Der kurze Tag war fast zu Ende; in ihrem Rücken, im Südwesten, sank die Sonne hinter den Baumwipfeln, rot und matt im Frostnebel. - Erlend untersuchte sorgfältig Spangen und Riemen des Sattelzeugs, ehe er sein Weib aufs Pferd hob. Dann ging er zu seinem eigenen Pferd und machte es los. Er wollte seine Handschuhe nehmen, die er in den Gürtel gesteckt hatte, aber er fand nur den einen. Suchend blickte er zurück.
Da konnte Kristin sich nicht enthalten zu sagen:
„Es nützt nichts, hier nach deinem Handschuh zu suchen, Erlend!“
„Du hättest es mir wohl sagen können, wenn du sahst, daß ich ihn verlor, ob du auch noch so böse auf mich warst“, sagte er. Es waren jene Handschuhe, die Kristin für ihn genäht und ihm mit ihren Brautgaben geschenkt hatte.
„Er fiel aus deinem Gürtel, als du mich schlugst“, sagte Kristin sehr leise und blickte nieder.
Erlend stand bei seinem Pferd, die Hand auf dem Sattelknauf. Er sah scheu und unglücklich aus. Dann aber brach er in Lachen aus.
„Nie hätte ich geglaubt, Kristin, zu jener Zeit, da ich um dich freite und zu meinen Freunden ging und bettelte, sie möchten für mich reden, und mich so demütig und so armselig machte, um dich zu bekommen, daß du solch eine Hexe sein könntest!“
Da lachte auch Kristin.
„Nein, da hättest du wohl die Sache viel früher aufgegeben
- und wer weiß, vielleicht wäre es zu deinem eigenen Besten gewesen.“
Erlend trat ein paar Schritte auf sie zu und legte die Hand auf ihr Knie.
„Gott steh mir bei, Kristin, hast du jemals von mir gehört, daß ich das tat, was zu meinem Besten war?“
Er lehnte sein Gesicht in ihren Schoß und blickte seinem
Weib blitzend ins Gesicht. Rot und froh senkte Kristin den Kopf und versuchte ihr Lächeln und ihre Augen zu verbergen.
Dann nahm er ihr Pferd beim Zaum und ließ sein eigenes hinterherfolgen; so führte er sie, bis sie den Hang hinuntergekommen waren. Sooft sie einander ansahen, lachte er, und sie wandte das Gesicht von ihm ab, um zu verbergen, daß auch sie lachte.
„Nun“, sagte er übermütig, als sie wieder auf dem Weg waren, „wollen wir heimreiten nach Husaby, meine Kristin, und so froh sein wie zwei Diebsgesellen!“
2
Am Weihnachtsabend stürmte es und goß in Strömen. Man konnte die Schlitten nicht verwenden, und so mußte Kristin daheim bleiben, als Erlend und die
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