Kristin Lavranstochter 1
gleich wieder aus dem Schlummer. Und der Priester sagte immer wieder:
„Jetzt, Kristin, bist du bald erlöst...“
Niemand wußte mehr, welche Zeit in der Nacht es war. Das Tagesgrauen grinste schon grau durch das Rauchloch herab.
Dann, nach einem langen, unsinnigen Entsetzensschrei wurde es vollkommen still. Erlend hörte, daß die Frauen geschäftig wurden - er wollte aufblicken; da vernahm er jemand überlaut weinen und kroch wieder in sich zusammen - er wagte nicht, es zu erfahren.
Da schrie Kristin wieder - ein hoher und wilder Jammerruf, der nicht mehr dem verrückten, unmenschlichen Tiergebrüll von vorher glich. Erlend fuhr auf. - Gunnulv stand gebückt da und hielt sie, die immer noch kniete, umfaßt. In tödlichem Grauen starrte sie auf etwas, was Frau Gunna ihr in einem Schaffell entgegenhielt. Die feuchte und dunkelrote Masse glich dem Eingeweide eines geschlachteten Tieres.
Der Geistliche zog Kristin dicht an sich.
„Meine Kristin, du hast einen so feinen und schönen Sohn geboren, wie ihn nur je eine Mutter Gottes Gnade verdankte
- und er atmet!“ wandte Gunnulv sich heftig zu den weinenden Frauen. „Er atmet - Gott wird nicht so grausam sein und uns nicht erhören.“
Noch während der Priester sprach, geschah es. Durch den müden, verwirrten Kopf der Mutter schwirrte der halbvergessene Anblick einer Knospe, die sie im Klostergarten gesehen hatte - etwas, aus dem zerknitterte rote Seidenfetzen herausquollen, sie breiteten sich zur Blüte aus.
Der unförmige Fleischklumpen rührte sich - es lebte in ihm; er streckte sich aus und wurde zu einem ganz kleinen weinroten Kind von menschlicher Gestalt. Es hatte Arme und Beine und Hände und Füße, an denen vollkommene Finger und Zehen waren - es rührte sich und wimmerte ein wenig.
„Wie klein, wie klein, wie klein er ist...“ Kristin rief es mit einer dünnen gebrochenen Stimme und sank lachend und weinend zusammen. Die Frauen ringsum lachten auf und wischten sich die Tränen ab, und Gunnulv legte ihnen Kristin in die Arme.
„Rollt ihn in einen Trog, damit er besser schreien kann“, sagte der Priester und folgte den Frauen, die den neugeborenen Knaben zur Feuerstätte trugen.
Als Kristin aus der langen Ohnmacht erwachte, lag sie im Bett. Sie war von den verschwitzten, entsetzlichen Kleidern befreit worden, und Wärme und Heilung durchströmten ihren Körper so beseligend gut - man hatte ihr kleine Säckchen mit warmer Nesselgrütze aufgelegt und sie in warme Decken und Felle gehüllt. Als Kristin sprechen wollte, bat eine Frau sie, zu schweigen. Es war völlig still in der Stube. Und durch die Stille drang eine Stimme, die sie nicht gleich erkennen konnte:
„Nikulaus, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ...“ Man hörte Wasserrieseln.
Kristin richtete sich ein wenig auf dem Ellbogen auf und blickte hinüber. Bei der Herdstätte stand ein Priester in weißem Gewande, und Ulv Haldorssohn hob ein rotes, zappelndes, nacktes Kind aus dem großen Messingbecken, gab es der Patin und nahm die brennende Kerze entgegen.
Sie hatte das Kind geboren - das Kind war es, das nun mit seinem Geschrei die Worte des Geistlichen fast völlig übertönte. Aber sie war so müde - sie war gleichgültig und wollte schlafen.
Da hörte sie Erlend - wie er rasch und erschrocken sagte:
„Der Kopf - er hat einen so seltsamen Kopf.“
„Er ist geschwollen“, sagte eine Frau ruhig. „Das ist kein Wunder - er mußte hart um sein Leben kämpfen, dieser
Knabe.“
Kristin rief etwas. Es war, als erwache sie, ganz bis ins innerste Herz hinein - es war ihr Sohn, und er hatte um sein Leben gekämpft, auch er, ganz wie sie.
Gunnulv wandte sich rasch und lächelnd um - er hob das kleine weiße Bündel aus Frau Gunnas Schoß und trug es zum Bett hin. Er legte der Mutter den Knaben in den Arm. Krank vor Zärtlichkeit und Glück, drückte sie ihr Antlitz gegen den kleinen Schimmer eines seidenweichen roten Gesichtes zwischen den Tüchern.
Sie sah zu Erlend auf. Schon früher einmal hatte sie ihn mit einem solchen grauen und verheerten Gesicht vor sich gesehen -sie konnte sich nicht erinnern, wann, ihr war so verwirrt und seltsam zumute aber sie wußte, es war gut, daß sie keine Erinnerung mehr daran hatte. Und es war gut, ihn so mit dem Bruder stehen zu sehen - der Priester hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. Unendlicher Friede und selige Ruhe legten sich über sie, während sie den großen Mann in Alba und Stola dastehen sah; das
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