Kristin Lavranstochter 1
Gunnulv“, bat er.
„Doch“, sagte der Priester. „Jetzt haben wir einander allzu vieles gesagt. Mögen Gott und die Jungfrau Maria es so fügen, daß wir uns in einer besseren Stunde wiederfinden. Leb wohl, Erlend . . .“
„Leb wohl“, sagte Erlend und blickte nicht auf.
Als Gunnulv einige Stunden später zur Reise gekleidet aus dem Priesterhaus trat, sah er im Süden einen Mann über die Äcker auf den Wald zureiten. Ein Bogen hing ihm über die Schulter, und drei Hunde umkreisten das Pferd. Es war Erlend.
Unterdessen folgte Kristin rasch dem Waldpfad über den Hang hinauf. Die Sonne stand jetzt hoch, und die Tannenwipfel schimmerten gegen den Sommerhimmel, aber hier im Walde war es noch morgenkühl und frisch. Der Geruch nach Fichten und mooriger Erde und nach dem Scharlachkraut, das überall mit kleinen hellroten Zwillingsglocken in Blüte stand, erfüllte die Luft so gut, und der grasüberwucherte Pfad war feucht und weich und tat den Füßen wohl. Kristin sprach im Dahingehen ihre Gebete, und ab und zu blickte sie zu den kleinen weißen Gutwetterwolken auf, die im Blau über den Baumwipfeln schwammen. Sie mußte die ganze Zeit an Bruder Edvin denken. So war er gewandert und gewandert, jahraus und jahrein, von der ersten Frühjahrszeit bis zum Spätherbst. Die Bergpfade entlang, durch schwarze Schluchten und unter weißen Schneefirnen dahin. Er rastete auf Almen, trank aus Bächen und aß dazu von dem Brot, das Senninnen und Pferdehirten ihm hinaustrugen, dann bot er Lebewohl und wünschte Gottes Frieden und Segen auf Menschen und Vieh herab. Über rauschende Waldhänge stieg der Mönch ins Tal hinab; hager und lang, mit gebeugtem Rücken und gesenktem Kopf wanderte er die Straße, vorbei an bebauten Höfen und Wohnplätzen -und hinter ihm blieb überall, wohin er kam, wie gutes Wetter seine liebevolle Fürbitte für alle Menschen zurück.
Kristin begegnete keinem lebenden Wesen außer ab und zu ein paar Kühen - auf diesem Bergrücken lagen Almen. Aber der Steig war ein guter, und über die Moore waren Knüppeldämme gelegt. Kristin fürchtete sich nicht - sie hatte das Gefühl, als schreite der Mönch unsichtbar an ihrer Seite. Bruder Edvin, wenn es wahr ist, daß du ein heiliger Mann bist, wenn du jetzt vor Gottes Angesicht stehst, dann bitte für mich!
Herr Jesus Christus! Heilige Maria! Sankt Olav! Sie sehnte sich nach dem Ziel der Wanderung, sie sehnte sich danach, die Bürde der jahrelang verborgen gehaltenen Sünden, das Gewicht der Messen und Gottesdienste, die sie beraubt hatte, ohne Beichte und unbußfertig, von sich werfen zu dürfen, sie sehnte sich danach, frei und gereinigt zu werden - mehr noch, als sie sich in diesem Frühjahr, da sie den Knaben unter dem Herzen trug, danach gesehnt hatte, von ihrer leiblichen Bürde erlöst zu werden.
Der Knabe schlief so gut und ruhig auf dem Rücken der Mutter. Er erwachte nicht eher, als bis sie durch den Wald zu den Snefuglhöfen hinuntergekommen war und nun über Budviken und den Fjordarm bei Saltnes blicken konnte. Dort setzte sie sich auf die Erde, holte das Bündel mit dem Kinde nach vorn auf den Schoß und öffnete ihren Kittel an der Brust. Es tat gut, den Knaben anlegen zu können, es tat gut, sitzen zu dürfen, es war herrlich, im ganzen Körper zu fühlen, wie die steinharten, milchprallen Brüste sich leerten, während der Knabe daran trank.
Das Tal mit seinen Höfen lag still unter ihr da und briet in der Sonne - mit grünen Wiesen und hellen Äckern zwischen dunklem Wald. Da und dort stieg ein wenig Rauch aus den Dächern. Auf manchen Wiesen hatte man schon mit der Heuernte begonnen.
Von Saltnessand durfte sie sich mit dem Boot nach Steine hinüberrudern lassen. Jetzt befand sie sich in ganz unbekannten Gegenden. Der Weg nach Byneset führte eine Weile an Höfen vorbei, dann kam sie wieder in den Wald, aber es war nun nicht mehr sehr weit zwischen den einzelnen menschlichen Siedlungen. Sie war sehr müde. Dann aber dachte sie an ihre Eltern - die waren auf nackten Füßen den ganzen Weg von Jörundhof in Sil übers Dovregebirge und hinunter nach Nidaros gegangen und hatten Ulvhild auf einer Trage zwischen sich getragen. Sie durfte noch nicht daran denken, daß Naakkve schwer auf dem Rücken laste.
Der Kopf juckte entsetzlich, weil sie unter dem dicken Friestuch so stark schwitzte. Und rund um die Mitte, wo der Strick ihre Kleider an den Körper drückte, hatte das Hemd auf der Haut gescheuert, so daß sie sicher schon wund
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