Kristin Lavranstochter 1
sich nach dem Weg. Nach Norden herauf war er mit dem Schiff von Tunsberg gekommen, erzählte er. „Jetzt muß ich weiterreiten, damit ich meinen Mann wieder einhole ..
„Ist es Finn, der dich begleitet?“ fragte Kristin.
„Nein. Finn ist jetzt verheiratet, er ist nicht mehr bei mir. Erinnerst du dich noch an ihn?“ fragte Simon, und seine Stimme klang ein wenig erfreut.
„Ist er ein hübsches Kind, Sigrids Knabe?“ fragte Kristin und betrachtete Naakkve.
„Ich höre sie so sagen. Ich finde, ein Wickelkind sieht aus wie das andere“, antwortete Simon.
„Da hast du wohl selber kein Kind“, meinte Kristin und mußte ein wenig lächeln.
„Nein“, antwortete er kurz. Dann nahm er Abschied und ritt weg.
Als Kristin weiterging, nahm sie den Knaben nicht wieder auf den Rücken. Sie trug ihn im Arm und preßte sein Gesicht an ihren Hals. Sie konnte an nichts anderes denken als an Sigrid Andrestochter. Ihr Vater hätte dies nicht vermocht. Lavrans Björgulvssohn, der wegreiten sollte, um für das Buhlenkind seiner Tochter Sitz und Rechte unter den Verwandten des Vaters zu erbetteln - nie hätte er das zu tun vermocht. Und nie, nie hätte er das Herz dazu gehabt, ihren Säugling von ihr zu nehmen - ein kleines Kind aus den Armen der Mutter zu reißen, es von ihrer Brust zu reißen, während noch die Muttermilch seine unschuldigen Lippen netzt! Mein Naakkve, nein, das hätte er wohl nicht über sich gebracht - und wenn es zehnmal gerecht gewesen wäre, mein Vater hätte das nicht getan.
Aber sie konnte das Bild nicht loswerden: eine Reiterschar, die oben im Einschnitt verschwindet, dort, wo das Tal eng wird und die Berge sich zusammendrängen, schwarz von Wäldern. Ein kalter Hauch strömt von dem Fluß aus, der donnernd über Felsbänke stürzt, eisgrün, schäumend, mit schwarzen, tiefen und ruhigen Stellen dazwischen. Wer sich dort hineinstürzt, wird unweigerlich von Fels zu Fels zerschmettert. Jesus Maria!
Dann sah sie die Äcker daheim auf Jörundhof in einer hellen Sommernacht - sah sich selbst den Pfad hinablaufen bis zu dem grünen Platz im Erlenwald beim Fluß, dort, wo sie Wäsche zu waschen pflegten. Heftig und eintönig rauschend fließt das Wasser in dem flachen Bett, das mit grünen Steinen angefüllt ist. - Herr Jesus, ich kann nicht anders.
Oh, aber der Vater hätte nicht das Herz dazu gehabt. Nicht, und wenn es auch noch so gerecht gewesen wäre. Wenn ich auf meinen bloßen Knien gebeten, gebeten und gebeten hätte: Vater, du darfst mein Kind nicht von mir nehmen.
Kristin stand auf Feginsbrekka und sah die Stadt in goldener Abendsonne unter sich liegen. Längs den breiten, glänzenden
Windungen des Flusses lagen braune Höfe mit Wasendächern; sie sah die dunklen Laubkuppeln in den Gärten und helle Steinhäuser mit gezackten Giebeln, sie sah Kirchen, deren schindelverkleidete schwarze Firste emporragten, und Kirchen mit mattschimmernden Bleidächern. Aber über dem grünen Land, über der herrlichen Stadt erhob sich die Christkirche, so riesenhaft und strahlend hell, daß gleichsam alles ihr zu Füßen lag. Die Abendsonne mitten auf der Brust und mit blitzendem Fensterglas, mit Türmen und schwindelnd hohen Spitzen und goldenen Wetterfahnen stand sie da und deutete in den hellen Sommerhimmel hinauf.
Ringsum lagen sommergrüne Gemeinden, mit würdigen Großhöfen an den Hängen. Draußen öffnete sich hell und weit der Fjord, mit treibenden Schatten von den großen Sommerwolken, die auf der anderen Seite über die schimmernd blauen Berge heraufzogen. Die Klosterinsel lag wie ein grüner Kranz mit steinweißen Häuserblumen da und klatschte leise in der See. So viele Schiffsmaste draußen an der Flußmündung, so viele schöne Häuser!
Überwältigt, schluchzend brach die junge Frau vor dem Kreuz am Wegrand zusammen, dort, wo Tausende von Pilgern gelegen und Gott dafür gedankt hatten, daß helfende Hände sich den Menschen auf ihrer Fahrt durch die gefährliche und schöne Welt entgegenstreckten.
In Kirchen und Klöstern läutete es zur Vesper, als Kristin den Christkirchhof betrat. Einen Augenblick wagte sie, am Westgiebel der Kirche hinaufzuspähen - dann schlug sie geblendet die Augen nieder.
Dieses Werk hatten nicht Menschen aus eigener Kraft zustande gebracht - hier hatte Gottes Geist durch den heiligen Öistein und durch die Baumeister, die ihm folgten, gewirkt. Zu uns komme dein Reich, dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden - jetzt verstand sie die Worte. Ein
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