Kristin Lavranstochter 1
Abglanz von der Herrlichkeit des Reiches Gottes zeugte in diesen Steinen davon, daß sein Wille alles Schöne war. Kristin bebte. Ja, Gott mußte sich mit Groll von allem Häßlichen abwenden - von Sünde und Schande und Unreinheit.
Auf den Altanen der Himmelsburg standen heilige Männer und Frauen, so schön, daß Kristin sie nicht anzusehen wagte. Die unverwelkbaren Ranken der Ewigkeit schlangen sich still und lieblich hinan - sprangen aus Spitzen und Türmen hervor und blühten in Steinmonstranzen auf. Über der mittleren Tür hing Christus am Kreuz. Maria und Johannes, der Evangelist, standen an seiner Seite, sie waren weiß, gleichsam aus Schnee geformt, und auf dem Weiß erglänzte Gold.
Dreimal umschritt sie betend die Kirche. Die mächtigen Mauermassen mit dem verwirrenden Reichtum an Pfeilern und Bogen und Fenstern, der Schimmer der gewaltigen schiefen Fläche des Daches, der Turm, die goldene Spitze hoch oben im Himmelsraum - Kristin sank unter ihrer Sünde zusammen.
Sie bebte, als sie den behauenen Stein des Portals küßte. In einem Gedankenblitz sah sie die dunkle Holzschnitzerei rings um die Kirchentüre daheim - dort hatte ihr Kindermund nach Vater und Mutter den Kuß aufgedrückt.
Sie besprengte das Kind und sich selbst mit Weihwasser und dachte daran, wie der Vater das gleiche getan, als sie klein war. Das Kind fest an sich gedrückt, schritt sie durch die Kirche vor.
Sie ging dahin wie in einem Wald - die Säulen waren gefurcht wie alte Bäume -, und in diesen Wald herein sickerte das Licht durch die farbigen Glasfenster, bunt und klar wie ein Gesang. Hoch über ihr regten sich im Steinlaub Tiere und Menschen, und Engel spielten auf Instrumenten - noch viel weiter oben, in noch schwindelnderer Höhe, spannten sich die Gewölbe und hoben die Kirche zu Gott empor. In einer Halle, die nach der Seite zu abzweigte, wurde an einem Altar Gottesdienst abgehalten. Kristin sank bei einer Säule in die Knie. Der Gesang schnitt in sie ein wie zu starkes Licht. Jetzt erkannte sie, wie tief im Staube sie lag.
Pater noster. Credo in unum Deum. Ave Maria, gratia plena* Sie hatte ihre Gebete dadurch gelernt, daß sie Vater und Mutter die Worte nachsprach, noch ehe sie den Sinn begriff - zu einer Zeit, deren sie sich kaum mehr entsinnen konnte. Herr Jesus Christus! Gab es eine Sünderin gleich ihr?
Hoch unter dem Triumphbogen, emporgehoben über die Menschen, hing Christus, der ans Kreuz Geschlagene. Die reine Jungfrau, seine Mutter, stand unter ihm und sah in Todesschmerz zu ihrem unschuldigen Sohn auf, der dort wie ein Verbrecher zu Tode gemartert wurde.
Und hier lag sie auf den Knien, die Frucht ihrer Sünde im Arm. Sie preßte den Knaben an sich; er war frisch wie ein
* (lat.) Vater unser. Ich glaube an den einen Gott. Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade.
Apfel, rot und weiß wie eine Rose - jetzt war er wach, lag da und blickte mit seinen klaren süßen Augen zu ihr, seiner Mutter, auf.
Gezeugt in Sünden. Getragen unter ihrem harten bösen Herzen, aus ihrem sündebefleckten Leib geboren, so hell, so gesund, so unsagbar lieblich und frisch und rein. Diese unverdiente Gnade zerbrach ihr das Herz, von Reue zerknirscht, lag sie da, und Schluchzen und Tränen drangen aus ihrer Seele wie Blut aus einer Todeswunde.
Naakkve, Naakkve, mein Kind ... Gott sucht die Sünden der Väter an ihren Kindern heim. Wußte ich das nicht? Doch, ich wußte es. Aber ich war ohne Barmherzigkeit für das unschuldige Leben, das in meinem Schoß erweckt werden konnte -auf daß er dann um meiner Sünden willen verflucht und gepeinigt werde...
Bereute ich meine Sünde, als ich dich in mir trug, mein geliebter, geliebter Sohn? O nein, es war nicht Reue. Mein Herz war hart vor Groll und bösen Gedanken in jener Stunde, da ich zum ersten Male fühlte, wie du dich bewegtest, so klein und wehrlos. - Magnifcat anima mea Dominum. Ex exultavit spiritus meus in Deo salutari meo .* So sang sie, die milde Königin der Frauen, als sie auserkoren war, den zu empfangen, der für unsere Sünden sterben sollte. Nicht gedachte ich des Erlösers meiner eigenen Sünden und der Sünden meines Kindes. O nein, es war nicht Reue, sondern ich machte mich klein und erbärmlich und bettelte darum, daß das Gesetz der Gerechtigkeit durchbrochen werden möge, denn ich hätte es nicht ertragen können, wenn Gott sein Gesetz gehalten und mich nach dem Wort gezüchtigt hätte, das ich mein Leben lang kannte ...
Ach ja, jetzt wußte sie es. Sie hatte
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