Kristin Lavranstochter 1
rettete sich, ob es nun so oder so zuging; so war es bei unseren Vätern. Aber der Bauernhaufen und die Leute in der Stadt, Erlend, das Arbeitsvolk, dem gar oft in einem Jahr Zins für zwei Herren abgefordert wurde und das froh sein mußte, sooft eine Schar durch die Täler fuhr, ohne die Höfe zu verbrennen und das Vieh zu erschlagen, der breite Haufen, der so unerträgliche Beschwerden und Gewalt dulden mußte - der, glaube ich, dankt Gott und Sankt Olav für König Haakon und König Magnus und dessen Söhne, welche die Gesetze gestärkt und den Frieden gefestigt haben.“
„Ja. Ich glaube gern, daß du das glaubst.“ Erlend warf den Kopf zurück. Lavrans saß da und betrachtete den Jüngeren -Erlend war jetzt ganz lebhaft. Röte flog über sein dunkles, hitziges Gesicht, die Kehle spannte sich wie ein Bogen in dem schlanken braunen Hals. Dann blickte Lavrans zu seiner Tochter hinüber. Kristin hatte die Arbeit sinken lassen und folgte aufmerksam dem lebhaften Gespräch der Männer. „Bist du so sicher, daß die Bauern und der gemeine Mann so denken und die neue Herrschaft preisen? Es ist wahr, sie hatten oft harte Zeiten durchzumachen, früher, als Könige und Gegenkönige mit den Heeren durch das Land zogen. Gewiß, die Leute entsinnen sich noch der Zeit, da sie mit Vieh und Frauen und Kindern in die Berge fliehen mußten, während ihre Höfe unten im Tal in Flammen standen. Ich habe sie davon erzählen hören. Aber ich weiß, sie erinnern sich auch noch an etwas anderes: an ihre eigenen Väter, die mit in den Kriegsscharen waren; nicht wir allein spielten um die Macht, Erling, nein, auch die Bauernsöhne spielten mit, sie auch; es kam vor, daß sie unsere Erbgüter gewannen. Wenn das Gesetz im Lande herrscht, dann kann es nicht geschehen, daß ein Dirnensohn von Skidan, der seines Vaters Namen nicht weiß, die Witwe eines Lehensmannes und ihre Güter bekommt, so wie Reidar Darre es erhielt - sein Nachkomme war gut genug als Mann für deine Tochter, Lavrans, und jetzt hat er die Brudertochter deiner Gemahlin,
Erling. Jetzt herrschen Gesetz und Recht; wie es zugeht, weiß ich nicht, das aber, das weiß ich, daß das Land der Bauern in unsere Hände übergeht, und zwar mit Hilfe des Gesetzes - je mehr dieses herrscht, desto rascher verlieren jene die Macht und das Recht, in Sachen des Reiches oder in ihren eigenen Angelegenheiten mitzureden. Und das, Erling, das weiß der Bauer auch! O nein, seid nicht so sicher, ihr Herren, daß der große Haufen sich nicht nach jener Zeit zurücksehnt, da er seine Höfe durch Feuer und Gewalt verlieren - aber wiederum durch das Waffenglück auch mehr gewinnen konnte, als durch das Recht zu gewinnen war.“
Lavrans nickte.
„Erlend hat damit nicht so ganz unrecht“, sagte er langsam.
Aber Erling Vidkunssohn erhob sich.
„Mag sein, daß das Volk sich besser jener wenigen Männer entsinnt, die aus geringen Verhältnissen aufstiegen und Herren wurden - in der Zeit des Schwertes als jener unsagbar vielen, die in schwarzer Armut und tiefem Elend untergingen. Obwohl niemand den kleinen Leuten ein so harter Herr war wie sie - ich glaube, daß durch sie das Sprichwort vom Bauern, der aufs Pferd kommt, entstanden ist: Der Mann muß zum Herrn geboren sein, sonst wird er ein harter Herr... Ist er als Kind zwischen Knechten und Mägden aufgewachsen, wird er viel leichter verstehen, daß wir ohne die kleinen Leute in vieler Beziehung unser Leben lang hilflos sind wie die Kinder und daß wir um Gottes willen, aber ebensosehr auch um unserer selbst willen ihnen wiederum mit unseren Kenntnissen dienen und sie mit unserer Ritterschaft verteidigen sollten. Noch nie hat ein Reich bestehen können, ohne daß die Großen das Recht der Kleinen mit ihrer Macht beschützen konnten und auch wollten.“
„Du könntest mit meinem Bruder um die Wette predigen, Erling“, sagte Erlend lächelnd. „Aber ich glaube, die Leute im Drontheimischen mochten uns Große früher besser leiden, als wir ihre Söhne auf die Heereszüge mitnahmen, unser Blut mit dem ihren vermischt über die Schiffsplanken rinnen ließen und mit unseren Knechten die Ringe zerschlugen und die Beute teilten. - Ja, du hörst, Kristin, bisweilen schlafe ich mit einem offenen Ohr, wenn Sira Eiliv aus den großen Büchern vorliest.“
„Solche Güter, die zu Unrecht erworben sind, kommen nicht bis auf den dritten Erben“, sagte Lavrans Björgulvssohn. „Hast du das nicht gehört, Erlend?“
„Gehört habe ich es wohl!“
Weitere Kostenlose Bücher