Kristin Lavranstochter 1
die
Rede einsichtsvollerer Männer.“ Wieder sahen sie einander an, und beide lachten. „Wie es auch sei - er kann mehr Schaden anrichten, wenn er auf der Versammlung erscheinen und seine Stimme zu laut erheben sollte.“
„Ja, wenn Ihr ihn dort nicht zurückhalten könnt, dann ..."
„Das kann ich auf jeden Fall nicht länger, als bis er solche Vögel trifft, in deren Strich er gerne fliegt - mein Eidam und ich sind allzu ungleich.“
Erlend kam zu ihnen.
„Hat Euch denn die Messe so satt gemacht, daß Ihr keinen Morgenimbiß braucht?“
„Ich habe nichts von Morgenimbiß gehört; ich bin hungrig wie ein Wolf - und durstig“, Lavrans streichelte ein schmutzigweißes Pferd, bei dem er gerade stand. „Den Mann, Eidam, der deine Arbeitsgäule versorgt, den würde ich vom Hofe jagen, noch ehe ich zu Tische ginge, wenn er mein Mann wäre.“
„Das wage ich nicht um Kristins willen“, sagte Erlend. „Er hat eine ihrer Mägde geschwängert.“
„Ja, rechnet ihr das hier im Tale für eine solche Großtat“, sagte Lavrans und zog die Brauen ein wenig hoch, „daß er euch deshalb unentbehrlich dünkt?“
„Nein, aber Ihr begreift“, sagte Erlend lachend, „Kristin und der Priester wollen die beiden verheiraten - und ich soll dem Mann so auf die Beine helfen, daß er sich und sein Weib ernähren kann. Das Mädchen will nicht, und ihr Vormund will nicht, und Tore will schon gar nicht, aber ich darf ihn nicht hinauswerfen; Kristin fürchtet, daß er dann das Tal verläßt. Im übrigen hat er jetzt Ulv Haldorssohn über sich, wenn er daheim ist.“
Erling Vidkunssohn ging Smid Gudleikssohn entgegen; Lavrans sagte zu Erlend:
„Kristin scheint mir in letzter Zeit etwas bleich ..."
„Ja“, fiel Erlend eifrig ein. „Könnt Ihr nicht mit ihr reden, Schwiegervater - dieser Junge saugt ihr noch das Mark aus den Knochen. Ich glaube, sie will ihn wie irgendein Häuslerweib bis zur dritten Fastenzeit an der Brust behalten.“
„Ja, sie liebt ihren Sohn sehr“, sagte Lavrans und lächelte ein wenig.
„Ja.“ Erlend schüttelte den Kopf. „Drei Stunden lang sitzen sie da, sie und Sira Eiliv - und reden darüber, daß der Junge da oder dort rot geworden ist, und über jeden Zahn, den er bekommt, und dann meinen sie, es sei ein großes Wunder geschehen. Ich habe es nie anders gewußt, als daß Kinder Zähne bekommen, und ich würde mich darüber wundern, wenn unser Naakkve keine bekäme.“
2
Im Jahr darauf, gegen Ende der Weihnachtszeit, kamen eines Abends Kristin Lavranstochter und Orm Erlendssohn ganz unerwartet zu Meister Gunnulv in seinen Stadthof.
Den ganzen Tag, schon seit dem Vormittag, hatte es geweht und naß geschneit, und jetzt gegen Abend wuchs das Wetter zu einem reinen Schneesturm an. Die beiden waren ganz mit Schnee bedeckt, als sie in die Stube traten, wo der Priester mit seinem Hausgesinde beim Essen saß.
Erschrocken fragte Gunnulv, ob es daheim auf Husaby etwas gegeben habe. Aber Kristin schüttelte den Kopf. Erlend sei bei einem Gastgelage auf Gelmin, antwortete sie auf die Frage des Schwagers, sie aber sei so müde gewesen, daß sie nicht mitgekonnt habe.
Der Priester dachte daran, daß sie den ganzen Weg zur Stadt geritten war; die Pferde waren vollkommen erschöpft, das letzte Stück hatten sie kaum noch vermocht, sich durch die Schneewehen hindurchzuarbeiten. Gunnulv gab Kristin zwei Frauen mit, die sollten ihr trockene Kleider anlegen. Es waren seine Pflegemutter und deren Schwester - andere Frauen gab es nicht auf dem Hof des Priesters. Er selbst nahm sich des Brudersohnes an. Unterdessen erzählte Orm:
„Kristin ist krank, glaube ich. Ich sagte es dem Vater, aber er wurde böse.“
Sie sei in letzter Zeit ganz außer sich gewesen, erzählte der Knabe. Er wußte nicht, was es war. Er konnte sich nicht erinnern, wer von ihnen beiden, Kristin oder er selbst, den Gedanken gefaßt hatte, hierherzureiten - ja, es war doch Kristin gewesen, die davon gesprochen hatte, daß sie sich so sehr nach der Christkirche sehne, und er hatte darauf geantwortet, da wolle er sie begleiten. Heute morgen nun, gleich nachdem der Vater von daheim weggeritten war, hatte Kristin erklärt, sie wolle jetzt reisen. Orm hatte sich ihr gefügt, obgleich das Wetter drohend aussah - Kristins Augen wollten ihm nicht gefallen.
Als Kristin jetzt wieder hereinkam, dachte Gunnulv, daß diese auch ihm nicht gefielen. Unheimlich mager sah sie aus in Ingrids schwarzem Kleid, das Gesicht bleich wie Bast und die
Weitere Kostenlose Bücher