Kristin Lavranstochter 1
König sie unter seinen schirmenden Mantel nahm. Sie hatte seine starke, warme Hand ergreifen dürfen, er hatte ihr das Licht gezeigt, das der Ursprung aller Stärke und Heiligkeit ist. Sankt Olav hatte Kristins Augen auf den gekreuzigten Christus hingelenkt - siehe, Kristin, so groß ist Gottes Liebe. Ja, sie,hatte begonnen, Gottes Liebe und Geduld zu begreifen. Aber sie hatte sich wiederum von dem Licht abgewandt und ihr Herz davor verschlossen, und jetzt wohnte nichts anderes in ihren Gedanken als Ungeduld und Zorn und Furcht.
Erbärmlich, erbärmlich war sie. Sie hatte es selbst begriffen, solch ein Weib wie sie bedurfte harter Prüfungen, ehe es von seiner Lieblosigkeit geheilt werden konnte. Trotzdem war sie so ungeduldig, daß es sie dünkte, ihr Herz müsse brechen über den Kümmernissen, die ihr auferlegt worden waren. Es waren kleine Kümmernisse, aber es waren ihrer so viele - und sie besaß so wenig Geduld.
Sie erkannte die hohe, schlanke Gestalt ihres Stiefsohnes drüben auf der Seite der Männer.
Sie konnte nichts dafür. Den Knaben liebte sie, als wäre er ihr eigenes Kind; aber es war ihr unmöglich, Margret liebzugewinnen. Sie hatte danach gestrebt und gestrebt und hatte sich dazu zwingen wollen, das Kind zu lieben, gleich vom ersten Tag an im vorigen Winter, da Ulv Haldorssohn mit ihr nach Husaby gekommen war. Kristin selbst schien dies entsetzlich - wie konnte sie solch einen Unwillen und Zorn gegen ein kleines Mädchen von neun Jahren empfinden! Sie wußte sehr wohl, es kam zum Teil daher, daß das Kind seiner Mutter so erschreckend ähnlich sah - sie konnte Erlend nicht begreifen; er war nur stolz auf die Schönheit seiner kleinen, goldgelockten, braunäugigen Tochter, und niemals schien das Kind unheimliche Erinnerungen im Vater zu erwecken. Es war, als habe Erlend alles, was die Mutter dieser Kinder betraf, völlig vergessen. - Aber daß Margret jener anderen Frau so sehr glich, war nicht der einzige Grund, weshalb Kristin gegen die Stieftochter eingenommen war. Margret ertrug es nicht, wenn jemand sie etwas lehren wollte, sie war hochmütig und böse gegen das Gesinde, auch unaufrichtig war sie und scharwenzelte um ihren Vater herum, obwohl sie ihn nicht so liebte, wie Orm es tat, sondern sich stets nur, um etwas zu erreichen, mit Liebkosungen und Schmeicheleien an Erlend heranmachte. Und Erlend überschüttete sie mit Geschenken und gab allen Launen des Mädchens nach. Auch Orm liebte seine Schwester nicht, hatte Kristin bemerkt.
Kristin litt darunter, sich so hart und böse zu fühlen, daß sie Margrets Betragen nicht ohne Unwillen und Selbstgerechtigkeit mit ansehen konnte. Noch mehr aber litt sie darunter, die ewigen Reibereien zwischen Erlend und seinem ältesten Sohn hören und sehen zu müssen. Sie litt am allermeisten deshalb, weil sie begriff, daß Erlend in seinem tiefsten Innern diesen Knaben grenzenlos liebte - und ungerecht und heftig gegen Orm wurde aus der hilflosen Ungewißheit heraus, was mit dem Sohn zu beginnen oder wie ihm die Zukunft zu sichern sei. Erlend hatte seinen Buhlenkindern Hof und Vieh gegeben -aber es war gleichsam unausdenkbar, daß Orm zum Bauern taugte. Und dann gab Erlend sich völlig nach, wenn er sah, wie schwach und kraftlos Orm war - nannte den Sohn verrottet, wollte ihn gewaltsam abhärten, beschäftigte sich stundenlang mit ihm, um ihn im Gebrauch von schweren Waffen zu üben, die der Knabe unmöglich zu führen vermochte, zwang ihn dazu, des Abends zu trinken, bis er krank wurde, und hetzte den Jungen auf gewagten und ermüdenden Jagden fast zu Tode. In alledem erkannte Kristin Erlends Angst; er war oft wild vor Kummer, das begriff sie, weil dieser feine und schöne Sohn nur für einen einzigen Platz taugte - und dort stand ihm seine Geburt im Wege. Und dann wußte Kristin, wie wenig Geduld Erlend besaß, wenn er sich um jemand ängstigen und sorgen mußte, den er liebte.
Sie sah, daß auch Orm dies begriff. Und sie sah, wie das Gemüt des Jungen zerrissen war von Liebe zum Vater und Stolz auf ihn - und von Verachtung für die Ungerechtigkeit des Mannes, der sein eigenes Kind den Kummer büßen ließ, den doch der Vater und nicht der Knabe verursacht hatte. Orm aber hatte sich an seine junge Stiefmutter angeschlossen - bei ihr war es, als atme er auf und fühle sich freier. Wenn er allein mit ihr war, konnte er scherzen und lachen - auf seine stille Art. Das aber mochte Erlend nicht leiden — es war, als habe der Vater die beiden im Verdacht,
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