Kristin Lavranstochter 1
Augen mit den dunkelblauen Ringen darunter tief eingesunken -der Blick war seltsam und schwarz.
Es waren über drei Monate vergangen, seit er sie zuletzt gesehen hatte - damals, als er zur Kindtaufe auf Husaby war. Sie hatte gut ausgesehen, wie sie so zum Staat im Bett lag, und sie hatte gesagt, sie fühle sich frisch - es sei eine leichte Entbindung gewesen. So hatte denn auch er dagegen gesprochen, als Ragnfrid Ivarstochter und Erlend dieses Kind einer Amme geben wollten - Kristin weinte und bettelte darum, Björgulv an ihrer eigenen Brust haben zu dürfen. - Der zweite Sohn war nach Lavrans’ Vater genannt worden.
Vor allem fragte der Priester darum nach Björgulv - er wußte, daß Kristin auch die Amme nicht gut leiden mochte, die man dem Kind gegeben hatte. Jetzt aber sagte sie, der Kleine gedeihe gut, und Frida habe ihn sehr gern, pflege ihn viel besser, als man habe erwarten können. „Und Nikulaus?“ fragte der Oheim. War er noch ebenso schön? Auf das Gesicht der Mutter trat ein kleines Lächeln. Naakkve wurde mit jedem Tag schöner und schöner. Nein, er rede nicht viel, aber im übrigen sei er in jeder Beziehung seinem Alter voraus und so groß - niemand würde glauben, daß er erst im zweiten Winter stünde, das sage auch Frau Gunna.
Dann sank Kristin wieder zusammen. Meister Gunnulv betrachtete die beiden, das Weib des Bruders und den Sohn des Bruders, die ihm zu beiden Seiten saßen. Sie sahen müde und verkümmert aus, so daß- ihm bei ihrem Anblick ganz beklommen zumute wurde.
Orm machte ja immer einen schwermütigen Eindruck. Der Knabe war jetzt fünfzehn Jahre alt; er wäre der schönste Bursche gewesen, hätte er nicht so weich und schwach ausgesehen. Er war beinahe so groß wie sein Vater, aber seine Gestalt war allzu schlank und schmalschultrig. Auch im Gesicht glich er Erlend, aber seine Augen waren viel dunkler blau, und der Mund unter dem ersten zarten schwarzen Bartflaum war noch kleiner und weicher und stets über einer vergrämten kleinen Furche an den Mundwinkeln geschlossen. Selbst der schmale braune Nacken unter dem schwarzen gelockten Haar sah seltsam unglücklich aus, wie der Junge so vornübergebeugt dasaß und aß.
Kristin hatte noch nie mit ihrem Schwager in dessen eigener Stube zu Tisch gesessen. Im Jahr zuvor war sie mit Erlend zum Frühjahrsthing in die Stadt gekommen, und da hatte sie in diesem Hof gewohnt, den Gunnulv von seinem Vater geerbt hatte; damals aber wohnte der Priester im Domherrenhof als Vikar für einen der Domherren. Jetzt war Meister Gunnulv Kirchspielpfarrer von Steine, aber er hatte einen Hilfspfarrer zur Seite und überwachte während der Krankheit des Kantors, Herrn Eirik Finnssohns, die Arbeit des Bücherschreibers für die Kirchen des erzbischöflichen Stiftes. Während dieser Zeit wohnte er auf seinem eigenen Hof.
Die Stube war etwas anders als die Räume, an die Kristin gewohnt war. Es war ein Balkenhaus, aber mitten an der östlichen Giebelwand hatte Gunnulv einen großen Kamin mauern lassen, ähnlich wie er es in den südlichen Ländern gesehen hatte; dort brannte ein Scheiterfeuer auf einem Rost. Der Tisch stand an der einen Langwand, und an der gegenüberliegenden Wand waren Bänke mit Schreibbrettern angebracht; vor einem Bild der Jungfrau Maria brannte eine Lampe aus gelbem Metall, und nahe dabei standen Gestelle mit Büchern.
Fremd schien ihr die Stube, und fremd schien ihr der Schwager, nun, da sie ihn hier mit seinem Gesinde, Schreibern und Knechten, die so seltsam halb priesterlich wirkten, bei Tisch sitzen sah.
Es waren auch ein paar arme Leute dabei: alte Männer und ein junger Knabe, dessen leere Augenhöhlen mit dünnen roten hautartigen Lidern verklebt waren. Auf der Frauenbank, bei den beiden alten Frauen, saß ein Mädchen mit einem zweijährigen Kind auf dem Schoß; sie schlang verhungert die Speisen hinunter und stopfte auch in das Kind so viel hinein, bis dem die Backen zu platzen drohten.
Es war Sitte, daß alle Priester an der Christkirche den armen Leuten eine Abendmahlzeit gaben. Aber wie Kristin gehört hatte, kamen zu Gunnulv Nikulaussohn weniger Bettler als zu den anderen Priestern, obwohl - oder weil - er sie bei sich in der Stube sitzen ließ und jeden Bettler wie einen geehrten Gast bewirtete. Sie bekamen Essen aus seinen eigenen Schüsseln und Bier aus des Priesters eigenen Tonnen. Da kamen sie nur, wenn sie glaubten, einmal eine Fleischspeise nötig zu haben -aber im übrigen gingen sie lieber zu den anderen
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