Kristin Lavranstochter 1
über sein Gebaren zu Gericht zu sitzen.
O nein, es war nicht leicht für Erlend — kein Wunder, daß er empfindlich war, wenn es die beiden Kinder galt. Trotzdem ...
Sie bebte noch vor Schmerz, wenn sie daran dachte.
In der vergangenen Woche war der Hof voller Gäste gewesen. Als Margret nach Hause kam, hatte Erlend den Dachraum über dem Nebenraum und der Vorstube der Halle für sie herrichten lassen - es sollte ihr Jungferngemach sein, sagte er, und dort schlief sie mit der Magd, die der Vater ihr zur Bedienung und zur Gefolgschaft gegeben hatte; auch Frida schlief dort mit Björgulv. Als sie nun aber so viele Weihnachtsgäste bekamen, hatte Kristin in diesem Dachraum ein Lager für die jungen Männer bereiten lassen; die beiden Mägde und der Säugling mußten jetzt im Haus der Dienerinnen schlafen. Aber gerade weil Kristin gedacht hatte, Erlend würde es vielleicht nicht recht sein, wenn sie Margret bei dem Gesinde schlafen ließ, hatte sie ihr auf einer der Bänke in der Halle, wo die Frauen und jungen Mädchen schliefen, ein Bett herrichten lassen. Margret war des Morgens immer schwer zu wecken; an diesem Morgen hatte Kristin sie oftmals geweckt, aber Margret hatte sich wieder umgedreht, lag da und schlief immer noch, nachdem alle anderen auf waren. Kristin wollte, daß die Halle geräumt und in Ordnung gebracht werde; die Gäste sollten einen Morgenimbiß haben - und da verlor sie nun ganz die Geduld. Sie zog Margret die Kissen unter dem Kopf weg und nahm ihr die Decke fort. Doch als sie das Kind so nackt auf dem Bettfell liegen sah, nahm sie ihren eigenen Umhang von den Schultern und breitete ihn über Margret. Es war ein Tuch aus einfachem, ungefärbtem Fries - Kristin trug es nur, wenn sie zwischen dem Küchenhaus und den Vorratshäusern hin und her ging, um nach dem Rechten zu sehen.
In diesem Augenblick kam Erlend herein - er schlief mit einigen anderen Männern in einem Nebengebäude, denn Frau Gunna lag bei Kristin im Ehebett. Er wurde völlig rasend, packte sie beim Arm, so daß die Spuren seiner Finger noch immer auf der Haut zu sehen waren. „Meinst du, daß diese meine Tochter in Stroh und Fries liegen kann? Margit gehört mir, wenn sie auch nicht dir gehört - was für deine eigenen Kinder nicht zu gut ist, das ist auch für sie recht und billig. Hast du nun das unschuldige kleine Mädchen vor diesen Frauen verhöhnt, so sollst du dies auch vor den gleichen Frauen wiedergutmachen, decke Margit mit dem wieder zu, was du ihr weggenommen hast.“
Erlend war am Abend zuvor betrunken gewesen, und in solchem Fall war er am nächsten Morgen stets reizbar. Auch dachte er wahrscheinlich, die Frauen würden untereinander reden, wenn sie Elines Kinder sahen. Und dies kränkte und schmerzte ihn um des Ansehens der Kinder willen. Trotzdem ...
Kristin hatte versucht, mit Sira Eiliv darüber zu sprechen.
Aber er konnte ihr hierin nicht helfen. Gunnulv hatte gesagt, daß sie die Sünden, die sie gebeichtet und gesühnt hatte, ehe Eiliv Serkssohn ihr Pfarrpriester wurde, dem neuen Beichtvater gegenüber nicht mehr zu nennen brauche, außer wenn sie selbst finde, er müsse davon wissen, um in ihren Angelegenheiten urteilen und raten zu können. Es gab darum vieles, was Kristin dem Priester bisher noch nicht gesagt hatte, obwohl sie selbst fühlte, daß sie auf diese Weise in Sira Eilivs Augen als ein besserer Mensch dastand, als sie in Wirklichkeit war. Aber es tat ihr so wohl, die Freundschaft dieses guten und reinen Mannes zu besitzen. Erlend neckte sie damit - sie aber fand großen Trost an Sira Eiliv. Mit ihm konnte sie über ihre Kinder sprechen, soviel sie wollte; über alle die kleinen Ereignisse, mit denen sie Erlend zur Stube hinauslangweilte, über alle diese Kleinigkeiten unterhielt sich der Priester gern mit ihr. Er hatte viel Geschick mit kleinen Kindern und verstand sich so gut auf deren verschiedene Schmerzen und Krankheiten. Erlend lachte sie aus, wenn sie selbst ins Küchenhaus ging und Leckereien bereitete, die sie dem Priester hinübersandte -denn Sira Eiliv aß und trank gerne gut, und ihr machte es Freude, sich mit solchen Dingen abzugeben und das zu erproben, was sie bei ihrer Mutter gelernt oder im Kloster gesehen hatte. Erlend war es gleichgültig, was er aß, wenn er nur stets Fleisch bekam, außer in der Fastenzeit. Aber Sira Eiliv kam und sprach über die Speisen und dankte und pries Kristins Tüchtigkeit, wenn sie ihm einen Spieß mit jungen Schneehühnern, eingehüllt in feinen
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