Kristin Lavranstochter 1
gefährlich; schlimmer steht es um deine Schwester.“
„Ja“, sagte Kristin und seufzte.
Dann stand sie eine Weile vor dem Bett. Der Vater sagte nichts mehr, und Kristin wußte nicht, was sie hätte sagen sollen. Und als Lavrans nach einer Weile meinte, sie solle nun zur Mutter und zu Frau Aashild hinuntergehen, lief sie eilig hinaus und sprang über den Hofplatz zur Winterstube.
4
Frau Aashild blieb den größten Teil des Sommers auf Jörundhof. Dies brachte mit sich, daß die Leute dorthin kamen und sie um Rat fragten. Kristin hörte Sira Eirik ungehalten davon sprechen, und sie glaubte zu verstehen, daß die Eltern Anstoß daran nahmen. Aber sie schob alle Gedanken an diese Dinge von sich, dachte auch nicht darüber nach, was sie über Frau Aashild meinte, sondern war stets bei ihr und wurde niemals müde, ihr zuzuhören und sie anzusehen.
Ulvhild lag noch in dem großen Bett, flach auf dem Rücken ausgestreckt. Ihr kleines Gesicht war weiß bis in die Lippen, und sie hatte schwarze Ringe unter den Augen. Das schöne blonde Haar roch scharf nach Schweiß, weil es so lange nicht gewaschen worden war, und es war jetzt dunkel und ohne Glanz und ohne Locken, so daß es altem, verwittertem Heu glich. Sie sah müde und gequält und geduldig aus und lächelte schwach und krank, wenn Kristin sich zu ihr ans Bett setzte und mit ihr schwätzte und ihr die vielen schönen Geschenke zeigte, die sie von den Eltern und von allen Freunden und Verwandten im weiten Umkreis bekommen hatte. Da gab es Docken und Vögel und Rinder, ein kleines Brettspiel, Schmucksachen und Samthauben und bunte Bänder; Kristin hatte alles miteinander in einen Schrein getan - und Ulvhild besah das Ganze mit ihren ernsten Augen und ließ dann die Herrlichkeiten seufzend aus den müden Händen gleiten.
Aber wenn Frau Aashild sich ihr näherte, dann leuchtete Ulvhilds Gesicht vor Freude auf. Begehrlich trank sie die erquickenden und schlafspendenden Tränke, die Frau Aashild ihr bereitete, klagte nicht, wenn diese sie anfaßte, und lag glücklich da und lauschte, wenn Frau Aashild auf Lavrans’ Harfe spielte und dazu sang - sie wußte so viele Weisen, die die Menschen hier im Tale nicht kannten.
Oft sang sie Kristin vor, wenn Ulvhild eingeschlafen war. Und dann erzählte sie manchmal aus ihrer Jugend, die sie im Süden des Landes verbracht hatte mit König Magnus und König Erik und deren Königinnen.
Einmal, als sie so dasaßen und Frau Aashild erzählte, entfuhr es Kristin, was sie so oft gedacht hatte:
„Wunderlich dünkt es mich, daß Ihr stets so fröhlich sein könnt, Ihr, die Ihr gewohnt wart...“ Sie brach ab und wurde rot.
Frau Aashild blickte lächelnd auf das Kind herab.
„Meinst du, weil ich jetzt von alldem getrennt bin?“ Sie lachte still, dann sagte sie: „Ich habe meine schöne Zeit gehabt, Kristin, und ich bin nicht so dumm, zu klagen, wenn ich mich jetzt mit gewässerter oder saurer Milch begnügen muß, weil ich meinen Wein und das Bier ausgetrunken habe. Gute Tage können lange währen, wenn einer bedachtsam und vorsichtig mit sich und dem Seinen umgeht; das wissen alle verständigen Leute, und deshalb, so denke ich, müssen sich die verständigen Leute mit guten Tagen begnügen - denn die besten Tage, die sind teuer. Nun nennen sie den einen Toren, der sein väterliches Erbe verschwendet, um in jungen Jahren zu genießen. Darüber muß jeder so denken, wie ihm sein Sinn steht. Ich aber nenne erst dann einen Mann einen wahren Narren und Toren, wenn er den Handel hinterher bereut. Und zweimal ein Tor und der Narr aller Narren ist er, wenn er glaubt, seine Zechkumpane noch zu sehen, nachdem das Erbe vertan ist. - Ist etwas mit Ulvhild?“ fragte sie sanft zu Ragnfrid hinüber. Diese hatte sich heftig bewegt, wie sie so dort am Bette des Kindes saß.
„Nein, sie schläft gut“, sagte die Mutter und kam zu Aashild und Kristin an die Feuerstätte. Die Hand an die. Rauchlochstange gestützt, stand sie da und blickte Frau Aashild ins Gesicht.
„Das versteht Kristin nicht“, sagte sie.
„Nein“, antwortete Frau Aashild. „Aber sie hat wohl auch ihre Gebete gelernt, ehe sie sie verstand. In den Zeiten, in denen man Gebete oder Ratschläge braucht, hat man meist keine Lust, zu lernen oder zu verstehen.“
Ragnfrid zog die schwarzen Brauen nachdenklich zusammen. Da glichen ihre hellen, tiefliegenden Augen Seen, die unter einem schwarzen Waldhang liegen, so hatte Kristin immer gedacht, als sie klein war - oder sie
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