Kristin Lavranstochter 1
hatte das jemand sagen hören. Frau Aashild sah sie mit ihrem kleinen halben Lächeln an. Ragnfrid setzte sich auf den Rand der Feuerstätte, nahm einen Ast und stocherte in der Glut.
„Aber der, der sein Erbe gegen die erbärmlichsten Dinge eingetauscht hat - und später einen Schatz sieht, für den er gerne sein Leben gäbe, um ihn zu besitzen, dünkt Euch nicht, er müsse sich über seine eigene Torheit grämen?“
„Wo gehandelt wird, wird auch verloren, Ragnfrid“, sagte Frau Aashild. „Und der, der sein Leben geben will, der muß es wagen und sehen, was er gewinnen kann.“
Ragnfrid zog den brennenden Ast aus dem Feuer, blies die Flamme aus und bog ihre Hand um das glühende Ende, so daß es zwischen ihren Fingern blutrot leuchtete.
„Ach, das sind Worte, Worte und nur Worte, Frau Aashild.“ „Es gibt auch nicht viel, was wert wäre, so teuer erkauft zu werden, Ragnfrid“, sagte die andere, „mit dem Leben erkauft zu werden.“
„Doch“, sagte die Mutter heftig. „Mein Mann“, flüsterte sie fast unhörbar.
„Ragnfrid“, sagte Frau Aashild gedämpft, „so hat manche Jungfrau gedacht, wenn sie versuchte, einen Mann an sich zu binden, und dafür ihre Jungfräulichkeit opferte. Aber hast du nicht von Männern und Jungfrauen gelesen, die Gott alles gaben, was sie besaßen, ins Kloster oder nackt in die Wildnis hinausgingen und es danach bereuten? Ja, die werden in den heiligen Büchern töricht genannt. Und es wäre wohl sündig zu denken, Gott hätte sie bei ihrem Handel betrogen.“
Ragnfrid saß eine Zeitlang ganz still. Da sagte Frau Aashild: „Komm jetzt, Kristin, es ist nun die Zeit, daß wir hinausgehen, den Tau zu sammeln, mit dem wir Ulvhild morgen waschen wollen.“
Draußen lag der Hofplatz weiß und schwarz im Mondschein da. Ragnfrid ging mit ihnen über den Weideanger bis hinunter an das Gatter zum Kohlgarten. Kristin sah, wie sie sich dort anlehnte, dünn und schwarz, während sie selbst den Tau von den großen eiskalten Kohlblättern und den Falten des Liebfrauenmantels in den silbernen Becher des Vaters träufeln ließ.
Frau Aashild ging schweigend neben Kristin her. Sie war nur mitgekommen, um sie zu schützen, denn es war nicht gut, ein Kind in einer solchen Nacht allein hinausgehen zu lassen. Doch der Tau erhielt größere Kraft, wenn er von einer reinen Jungfrau gesammelt wurde.
Als sie an das Gatter zurückkamen, war die Mutter weg. Kristin zitterte vor Kälte, als sie den eisigen Becher in Frau Aashilds Hände übergab. Sie sprang in ihren nassen Schuhen in den Dachraum hinauf, wo sie mit dem Vater schlief. Sie hatte den Fuß auf die erste Stufe gesetzt, da trat Ragnfrid aus dem Schatten des oberen Altanes hervor. In den Händen hielt sie eine Schale mit einem dampfenden Trunk.
„Hier habe ich dir etwas Bier gewärmt, Tochter“, sagte die Mutter.
Kristin dankte freudig und führte die Schale an den Mund. Da fragte Ragnfrid:
„Kristin, die Gebete und alles andere, was Frau Aashild dich lehrt - es ist doch wohl keine Sünde oder nichts Ungöttliches darin?“
„Das kann ich doch nicht glauben“, antwortete das Kind. „Es kommen immer wieder der Name Jesu und die Namen der Jungfrau Maria und der Heiligen darin vor.“
„Was hat sie dich denn gelehrt?“ fragte die Mutter wieder.
„Oh, von Kräutern - und wie man rinnendes Blut und Warzen und wehe Augen bespricht und die Motten in den Kleidern und die Mäuse im Vorratshaus. Und welche Kräuter man bei Sonnenschein pflücken muß, und welche Kräuter im Regen Kraft haben. - Aber die Gebete darf ich niemand sagen, denn dann verlieren sie ihre Kraft“, fügte sie rasch hinzu.
Die Mutter nahm die geleerte Schale und stellte sie auf die Treppe. Und plötzlich schlang sie die Arme um die Tochter, drückte sie fest an sich und küßte sie. - Kristin fühlte, daß die Wangen der Mutter naß und heiß waren.
„Mögen dich Gott und Unsere Liebe Frau beschirmen und dich vor allem Bösen bewahren - wir haben jetzt nur noch dich dein Vater und ich, als einzige, die unser arges Glück noch nicht angerührt hat. Liebe, Liebe - vergiß nie, daß du deines Vaters liebste Freude bist.“
Ragnfrid ging in die Winterstube zurück, zog sich aus und kroch ins Bett zu Ulvhild. Sie bog die Arme um das Kind und legte ihr Gesicht ganz nahe an das der Kleinen, so daß sie die Wärme von Ulvhilds Körper und den scharfen Schweißgeruch aus dem feuchten Haar des Kindes verspürte. Ulvhild schlief tief und ruhig wie stets nach Frau
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