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Kristin Lavranstochter 1

Titel: Kristin Lavranstochter 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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die Reise antreten konnten, würde die Zeit schon gefährlich nahe sein, zu der Kristin ihre Niederkunft erwartete - und Kristin, die ja nicht einmal im gesunden Zustande den Seeweg vertrug! Aber er wagte nicht, sich auszudenken, daß sie ihren Vater vor seinem Tode nicht mehr sehen sollte. Am Abend, als sie sich schlafen gelegt hatten, fragte er Kristin, ob sie die Reise zu machen wage.
    Er hielt sich für belohnt, als sie sich in seinen Armen ausweinte, dankbar und voller Reue über ihre Unfreundlichkeit gegen ihn im Winter. Erlend wurde weich und zärtlich wie stets, wenn er einer Frau Kummer bereitet hatte und gezwungen war, zuzusehen, wie sie vor seinen Augen der Schmerz übermannte. So nahm er Kristins Vorschlag leidlich geduldig auf. Er hatte sofort gesagt, daß er die Kinder nicht dabeihaben wolle. Die Mutter aber meinte, Naakkve sei doch jetzt so alt, daß es ihm dienlich sein könne, beim Heimgang seines Großvaters dabeizusein. Erlend verneinte das. Dann fand sie, Ivar und Skule seien zu klein, um unter der Obhut der Dienerinnen zurückzubleiben. Nein, sagte Erlend. Und den Gaute habe der Vater so gern gehabt. Nein, sagte Erlend, es sei für Ragnfrid schwierig genug, so wie es um sie stehe, eine Wöchnerin auf den Hof zu bekommen, während ihr Gatte auf dem Sterbebett liege - und sie wiederum hätten große Mühe, das Neugeborene nach Hause zu bringen. Entweder müsse sie das Kind auf einem von Lavrans’ Höfen zurücklassen, oder sie müsse auf Jörundhof warten, bis es Sommer würde - da aber müsse er dann voraus heimkehren. Er hielt ihr alles vor Augen, immer und immer wieder, aber er bemühte sich, ruhig und eindringlich zu reden.
    Dann fiel ihm ein, daß er vielleicht von Nidaros das und jenes mitbringen sollte, was die Schwiegermutter zum Leichenschmaus brauchen könnte: Wein und Wachs, Weizenmehl und
    Paradiesgrütze und ähnliches. Aber endlich kamen sie doch fort und langten am Tage vor der Gjartrudmesse auf Jörundhof an.
    Aber es gestaltete sich daheim so ganz anders für Kristin, als sie gedacht hatte.
    Sie mußte große Dankbarkeit empfinden, daß sie ihren Vater noch einmal sehen durfte. Wenn sie an seine Freude dachte, als sie kam, und wie er Erlend dafür gedankt hatte, dann war sie froh. Aber sie fühlte, daß sie jetzt so sehr außerhalb stand, und das war schmerzlich.
    Es war nur noch ein kurzer Monat, bis ihre Stunde kam; darum verbot Lavrans streng, daß sie bei der Pflege eine Handreichung leistete; sie durfte weder mit den anderen nachts bei ihm wachen, noch wollte es die Mutter dulden, daß sie bei all der Arbeit auch nur im geringsten mithalf. Den ganzen Tag über saß sie beim Vater, aber es traf sich nur selten, daß sie eine Stunde allein waren. Beinahe täglich kamen Gäste auf den Hof - Freunde, die Lavrans Björgulvssohn noch einmal zu seinen Lebzeiten sehen wollten. Es freute den Vater, obgleich er sehr müde davon wurde. Heiter und herzlich sprach er mit allen, Frauen und Männern, Geringen und Vornehmen, Jungen und Alten, dankte für ihre Freundschaft, bat um ihre Fürbitte für seine Seele und wünschte sich ein Wiedersehen mit ihnen am Tag der Freuden. Des Nachts aber, wenn seine nächsten Angehörigen bei ihm waren, lag Kristin im Oberstock, starrte in die Dunkelheit und konnte keinen Schlaf finden, weil sie an den Heimgang des Vaters und an die Unvernunft und Bosheit ihres eigenen Herzens denken mußte.
    Mit Lavrans ging es rasch aufs Ende zu. Er hatte sich aufrecht gehalten, bis Ramborg ihr Kind geboren hatte und Ragnfrid nicht mehr so viel auf Formo zu sein brauchte; er hatte sich auch eines Tages hinfahren lassen und seine Tochter und sein Tochterkind besucht; Ulvhild war das kleine Mädchen getauft worden. Dann aber legte er sich zu Bett und stand nun wohl nicht mehr auf.
    Er lag in der Großstube unter dem Oberstock. Man hatte ihm dort auf der Hochsitzbank eine Art Bett bereitet; denn er konnte es nicht vertragen, auf einem hohen Kopfpolster zu liegen; da befiel ihn gleich Schwindel, er bekam Ohnmachtsanfälle und Herzkrämpfe. Sie wagten nicht mehr, ihn zur Ader
    zu lassen; dies hatte man im Laufe des Herbstes und Winters so oft tun müssen, daß er jetzt ganz blutarm war, und er vermochte nur wenig zu essen und zu trinken. Die feinen und schönen Gesichtszüge des Vaters waren jetzt scharf, und die Bräune war aus seinem wetterfrischen Gesicht gewichen; es schimmerte gelb wie Bein, und die Lippen und Augenwinkel waren blutlos blaß. Ungeschoren, welk und

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