Kristin Lavranstochter 1
Reichsverweser, daß Erlend Nikulaussohn die Fähigkeit habe, in solchen Dingen zu urteilen, oder standen die Sachen nun so, daß Erling jetzt nach der nächstbesten Stütze griff? Der Bjarköy-Ritter trat seine Macht wohl nur ungern ab. Man hatte ihm zwar nie nachsagen können, daß er sie zu seinem eigenen Vorteil gebraucht hätte - er war ja schließlich auch so gestellt, daß er hierauf verzichten konnte. Nur das eine sagten alle: daß er mit den Jahren immer eigensinniger und selbstherrlicher geworden sei, und sooft einer der anderen Herren des Reichsrates versucht hatte, sich gegen ihn aufzulehnen, war er so herrisch und überlegen gewesen, daß er die Rede eines anderen kaum mehr anhören wollte.
Es überraschte nicht an Erlend, daß er nun sozusagen mit beiden Beinen auf Herrn Erling Vidkunssohns Schiff übergestiegen war - nun, da es Gegenwind bekommen hatte, und es schien ungewiß, ob es Herrn Erling oder Erlend selbst von Nutzen sein konnte, daß er sich seinem reichen Verwandten allem Anschein nach mit Haut und Haar angeschlossen hatte. Trotzdem Simon sich eingestehen mußte, daß, so unvorsichtig Erlend auch über Leute und Angelegenheiten sprach, seine Rede doch keinen ganz unverständigen Eindruck machte.
Am Abend jedoch war Erlend ganz wild und ausgelassen. Er lebte jetzt auf dem Nikulaushof, den sein Bruder ihm geschenkt hatte, als er ins Kloster ging. Kristin war mit dreien der Kinder, den beiden ältesten und dem jüngsten, bei ihm und mit ihr seine Tochter Margret.
Gegen Abend kam eine ganze Schar Leute zu ihnen herein, darunter mehrere der Herren, die am Morgen zuvor der Zusammenkunft mit dem Bischof beigewohnt hatten. Erlend lachte und lärmte über den Tisch hinweg, als sie nach der Mahlzeit beieinandersaßen und tranken. Er hatte von einer Schale auf dem Tisch einen Apfel genommen, ritzte und schnitt mit dem Messer daran herum - dann rollte er ihn Frau Sunniva Olavstochter, die ihm gerade gegenübersaß, in den Schoß.
Nun wollte Sunnivas Nachbarin den Apfel sehen und griff nach ihm, jene wollte jedoch nicht loslassen, und so pufften die beiden Frauen einander unter Schreien und Lachen. Aber Erlend rief, Frau Eyvor solle von ihm ebenfalls einen Apfel bekommen. Es dauerte nicht lange, so hatte er allen anwesenden Frauen einen Apfel zugeworfen - es stünden auf allen Liebesrunen, sagte er.
„Du richtest dich zugrunde, Junge, wenn du alle diese Pfänder einlösen willst“, rief ein Mann.
„Dann löse ich sie eben nicht ein - darauf habe ich auch schon früher verzichten müssen“, gab Erlend zurück, und es entstand wiederum viel Gelächter.
Aber der Isländer Klöng hatte einen der Äpfel angesehen und rief nun, es seien keine Runen, sondern nur ein sinnloses Gekritzel. Er wolle ihnen nun zeigen, wie richtige Runen geritzt würden. Da rief Erlend, dies dürfe er nicht.
„Dann verlangt man wohl gar, daß ich dich binden soll, Klöng - und ich kann nicht ohne dich zurechtkommen.“
Unter all diesem Lärm war Erlends und Kristins jüngster Sohn in die Stube hereingetrippelt. Lavrans Erlendssohn war jetzt ein wenig über zwei Jahre alt und ein besonders schönes Kind, hell und rundlich, mit seidenfeinem blondem und lockigem Haar. Die Frauen auf der Außenbank holten denn auch sofort den Jungen zu sich - sie gaben ihn von Schoß zu Schoß und liebkosten ihn, ziemlich übermütig, denn sie waren jetzt wirr und ausgelassen, alle miteinander. Kristin, die an der Wand im Hochsitz neben ihrem Mann saß, verlangte, daß man ihr das Kind gebe, und der Kleine jammerte und wollte zu ihr, allein, dies half alles nichts.
Plötzlich sprang Erlend über den Tisch und ergriff das Kind, das nun schrie, weil Frau Sunniva und Frau Eyvor es zwischen sich hin und her zogen und sich darum stritten. Der Vater hob den Knaben auf, redete ihm freundlich zu und begann, als der Kleine immer noch weinte, ihn hin und her zu wiegen, während er ihn in dem halbdunklen Teil des Raumes auf und ab trug. Jetzt war es, als habe Erlend seine Gäste völlig vergessen. Der kleine helle Kopf des Kindes lag an der Schulter des Vaters unter dessen schwarzem Haar, und Erlend liebkoste zuweilen mit halboffenen Lippen die kleine Hand, die sich auf seine Brust stützte. So ging er umher, bis die Magd hereinkam, die das Kind in Obhut hatte und es schon längst hätte zu Bett bringen müssen.
Jetzt riefen einige der Gäste, Erlend solle ihnen einen Tanz Vorsingen - er habe eine so schöne Stimme. Zuerst weigerte er sich - aber
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