Kristin Lavranstochter 1
leise.
„Wie er mich hieß, Mutter. Ich gelangte so auf den Hof, daß niemand es sah. Ulv war nicht daheim, und so verbrannte ich das, was mir Vater anvertraut hatte, auf der Feuerstätte in der Stube. Ich nahm es aus dem Tuch heraus.“ Er zögerte ein wenig. „Mutter - es waren neun Siegel daran ..
„Mein Gaute.“ Die Mutter legte den Arm um seine Schultern und sah dem Knaben ins Gesicht. „Dein Vater hat große Dinge in deine Hände legen müssen. Wenn du dir nicht mehr anders zu helfen weißt, sondern meinst, du müßtest zu jemand davon sprechen - so sage deiner Mutter, was dir auf der Seele liegt. Aber am besten will es mich dünken, wenn du ganz schweigen könntest, mein Sohn!“
Das helle Antlitz unter dem glatten flachsgelben Haar, die großen Augen, der volle, feste, runde Mund - wie ähnlich er jetzt seinem Vater war. Gaute nickte. Dann legte er einen Arm um die Schulter der Mutter. Schmerzlich süß fühlte Kristin, daß sie ihren Kopf an die zarte Brust des Knaben lehnen konnte; er war jetzt so groß, daß sie, wenn er stand und sie saß, mit ihrem Kopf gerade bis an sein Herz reichte. Zum ersten Male war sie es, die sich an das Kind lehnte.
Gaute sagte:
„Isak war allein daheim. Ich zeigte ihm nicht, was ich trug, sondern sagte nur, ich hätte etwas, was ich verbrennen müßte. Da machte er ein großes Feuer auf der Herdstätte an, ehe er hinausging und das Pferd sattelte.“
Die Mutter nickte. Dann ließ er sie los, wandte sich ihr zu und sagte, kindlich furchtsam und mit Erstaunen in der Stimme:
„Mutter, wißt Ihr, was sie sagen - sie sagen, Vater wolle König werden ..
„Das klingt wenig wahrscheinlich, mein Junge“, erwiderte sie mit einem Lächeln.
„Aber seiner Geburt nach kann er es werden, Mutter“, meinte der Knabe ernsthaft und stolz. „Und mich dünkt, der Vater würde besser dazu taugen als die meisten Männer..
„Still.“ Sie ergriff wieder seine Hand. „Mein Gaute - nachdem dein Vater dir solches Vertrauen gezeigt hat, mußt du begreifen, daß du und wir alle nichts sagen oder meinen dürfen, sondern unseren Mund wohl hüten müssen, bis wir etwas erfahren haben, wodurch wir beurteilen können, ob wir reden sollen und wie. Ich reite morgen nach Nidaros - und wenn es mir gelingt, mit deinem Vater unter vier Augen sprechen zu dürfen, so werde ich ihm gewiß sagen, daß du seinen Auftrag gut ausgeführt hast.“
„Nehmt mich mit Euch, Mutterl“ bat der Knabe heftig.
„Wir dürfen niemand auf den Gedanken bringen, Gaute, daß du etwas anderes bist als ein gedankenloses Kind. Du mußt versuchen, mein kleiner Sohn, daheim zu spielen und so froh zu sein, wie du kannst - damit dienst du ihm am besten.“
Naakkve und Björgulv kamen langsam den Hang herauf. Sie gingen auf die Mutter zu, standen so jung und gespannt und bewegt da. Kristin sah: sie waren noch so sehr Kinder, daß sie in ihren Ängsten zur Mutter flüchteten - und dem Mannesalter doch so nahe gerückt, daß sie die Mutter gern trösten oder beschützen wollten, hätten sie gewußt, wie sie es machen sollten. Sie reichte jedem der Knaben eine Hand. Aber sie und die Knaben sprachen nicht viel miteinander.
Bald darauf gingen sie hinunter, Kristin die Hände auf die Schultern der beiden ältesten Söhne gelegt.
„Du blickst mich so an, Naakkve?“ Aber der Knabe wurde rot, drehte den Kopf weg und antwortete nicht.
Er hatte noch nie darüber nachgedacht, wie die Mutter aussah. Es war Jahr und Tag her, seit er angefangen hatte, seinen
Vater mit anderen Männern zu vergleichen - der Vater war der Schönste und der Hervorragendste. Die Mutter war die Mutter, die neue Kinder bekam; diese entwuchsen den Händen der Frauen und reihten sich in Leben und Treiben und in Streit und Freundschaft der Brüderschar ein; die Mutter hatte offene Hände, durch die alles strömte, was sie brauchten, die Mutter wußte fast gegen alle Übel Rat, die Mutter war auf dem Hof wie das Feuer auf der Feuerstätte, sie trug das Leben daheim, wie die Äcker um Husaby die Ernte des Jahres trugen, Leben und Wärme strahlten von ihr aus wie von dem Vieh und den Pferden im Stall. Niemals hatte der Knabe daran gedacht, sie mit anderen Frauen zu vergleichen.
Heute abend sah er es plötzlich: sie war eine stolze und schöne Frau. Mit der breiten weißen Stirn unter dem Linnentuch, dem geraden Blick der stahlgrauen Augen unter dem ruhigen Bogen der Brauen, mit der vollen Brust und den langen, ebenmäßigen Gliedern. Sie bewegte ihre hohe
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