Kristin Lavranstochter 1
Das große gerade Dreieck der Nase sprang unwahrscheinlich weit aus den eingefallenen Wangen hervor, das graugesprenkelte Haar legte sich in einzelnen feuchten Strähnen von der hohen, schmalen Stirn zurück - auf jeder der eingesunkenen Schläfen war ein großer blauroter Fleck, als habe ihn dort etwas gepreßt oder festgehalten.
Langsam, mit Mühe, schlug er die großen hellblauen Augen auf und versuchte eine Art Lächeln zustande zu bringen, als er die Männer erkannte, seine Stimme war ein wenig fremd und undeutlich.
„Setz dich, Schwager“, er drehte den Kopf zu der leeren Bettstelle hin. „Ja, seit wir uns das letztemal sahen, habe ich etwas Neues gelernt..."
Olav Kyrning beugte sich über Erlend und fragte, ob er etwas wünsche. Als er keine Antwort erhielt - wahrscheinlich weil Erlend nichts zu sagen vermochte -, zog er den Umhang weg. Erlend hatte nur linnene Hosen und ein zerrissenes Hemd an -und der Anblick der geschwollenen und grün- und blauunterlaufenen Glieder empörte und erschütterte Simon wie ein Entsetzen vor Unzüchtigem. Er fragte sich, ob Erlend Ähnliches empfinde - es lief ein Schatten der Röte über sein Gesicht, während Olav mit einem Tuch, das er in Wasser getaucht hatte, Erlend über Arme und Beine fuhr. Als Simon den Umhang wieder darüberbreitete, rückte Erlend ihn mit kleinen Bewegungen zurecht und zog ihn mit den Zähnen hinauf, so daß er ganz bedeckt war.
„Ja“, sagte Erlend, seine Stimme war jetzt wieder mehr die alte und das Lächeln um den bleichen Mund ein wenig deutlicher, „das nächste Mal - wird schlimmer! Aber ich fürchte mich nicht - niemand braucht sich zu fürchten - sie sollen nichts aus mir herausbringen - auf diese Weise ..."
Simon fühlte es, daß der Mann die Wahrheit sprach. Qualen würden aus Erlend Nikulaussohn nicht ein Wort herauszwingen können. Er, der in Erregung und Gedankenlosigkeit tun und ausplaudern konnte, was es auch sein mochte, würde sich mit Gewalt nie um Handbreite von der Stelle bringen lassen. Und er fühlte, daß Erlend die Scham und die Kränkung, die Simon für ihn empfand, selbst kaum gewahr wurde - er war von einer eigensinnigen Freude erfüllt, seinen Bütteln zu trotzen, und voll zufriedenen Vertrauens auf seinen abgehärteten Körper. Er, der stets so kläglich zusammenfiel, wenn er einem festen Willen begegnete, der selbst vielleicht in einem Augenblick des Entsetzens hatte grausam sein können, steilte auf, nun, da er hinter der Grausamkeit einen Gegner witterte, der schwächer war als er selbst.
Aber Simon antwortete mit zusammengebissenen Zähnen:
„Ein nächstes Mal - gibt es wohl nicht! Was meint Ihr, Olav?“
Olav schüttelte den Kopf, aber Erlend sagte mit einem Anflug der alten leichtfertigen Munterkeit in der Stimme:
„Ja, könnte ich dies - so fest glauben - wie ihr! Aber diese
Burschen werden sich kaum - hiermit begnügen ..." Er wurde das Zucken gewahr, das in Simons breitem und muskelschwerem Gesicht arbeitete. „Nein, Simon - Schwager!“ Erlend wollte sich auf den Ellbogen aufrichten; vor Schmerz stieß er ein seltsam ersticktes Stöhnen aus und sank bewußtlos zurück.
Olav und Simon bemühten sich mit ungeschickten Händen um ihn. Als der Schwindelanfall vorüber war, lag Erlend eine Weile mit offenen Augen da; er sprach ernsthafter:
„Versteht ihr nicht - es gilt - viel - für Magnus - zu erfahren - welchen Männern er nicht trauen darf - nicht weiter, als er sie sieht. Nach all der Unruhe - und Unzufriedenheit - die hier im Lande geherrscht haben ...“
„Ja, glaubt er, daß dies die Unzufriedenheit dämpfen wird?“ sagte Olav Kyrning drohend. Da erwiderte Erlend leise und mit klarer Stimme:
„Ich habe mich bei dieser Sache so gebärdet - daß nur wenige - danach fragen werden, wie es mir ergeht - das weiß ich selbst...“
Die beiden anderen Männer erröteten. Simon hatte geglaubt, Erlend würde es selbst nicht einsehen - und es war bisher zwischen ihnen nie eine Andeutung auf Frau Sunniva gemacht worden. Jetzt brach er aus, verzweifelt:
„Daß du dich so - unverständig leichtfertig anstellen konntest!“
„Ja, das verstehe ich selbst nicht - jetzt“, sagte Erlend aufrichtig, „aber - zur Hölle! Konnte ich denn denken, daß sie Geschriebenes lesen könnte! Sie schien - sehr ungelehrt...“
Die Augenlider sanken wieder zu; er war nahe daran, abermals ohnmächtig zu werden. Olav Kyrning murmelte, er wolle etwas holen, und ging hinaus. Simon beugte sich über Erlend, der
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