Kristin Lavranstochter 1
nach Nidaros zu fahren und zusammen mit Arne Gjavvaldssohn ihre Rechte bei der Aufteilung des Besitzes wahrzunehmen. Viel reicher sollte König Magnus an Erlends Gütern nicht werden - Erlend war viel verschuldeter, als er selbst je geahnt hatte, und er hatte Gelder erhoben, die nach Dänemark und England und Schottland gesandt worden waren. Erlend zuckte mit den Schultern und sagte mit einem halben Lächeln, dafür erwarte er nun keine Erstattung mehr.
So stand seine Sache beinahe noch wie bisher, als Simon Andressohn um die Zeit der Kreuzmesse im Herbst nach Oslo zurückkam. Aber er entsetzte sich darüber, wie angegriffen sie aussahen, Kristin sowohl als auch der Schwager, und es wurde ihm seltsam weich und krank ums Herz, als die beiden doch noch so viel Gewalt über sich hatten, ihm dafür zu danken, daß er, der in dieser Jahreszeit am schwersten seinen Hof daheim im Stich lassen konnte, hierhergekommen war. Um diese Zeit aber versammelte sich das Volk bei Tunsberg, wo König Magnus sich aufhielt und auf seine Braut wartete.
Gegen Ende des Monats konnte Simon eine Fahrgelegenheit dorthin verabreden - mit einigen Kaufleuten, die acht Tage später absegeln wollten. Da kam eines Morgens ein fremder Knecht und bat Simon Andressohn, sich sofort in die Halvardskirche zu bemühen - Olav Kyrning erwarte ihn dort.
Der Unterschatzmeister befand sich in maßloser Aufregung. Er hatte den Befehl auf der Burg, während der Schatzmeister in Tunsberg war. Und am Abend zuvor war eine Gefolgschaft von Herren gekommen, die ihm einen Brief mit König Magnus’ Siegel vorzeigten, mit dem Befehl, daß sie in Erlend Nikulaussohn Sache nachforschen sollten. Da hatte er ihnen den Gefangenen vorführen lassen. Die drei waren Ausländer, Franzosen wahrscheinlich, Olav hatte ihre Sprache nicht verstanden, aber der Hofgeistliche hatte heute morgen lateinisch mit ihnen gesprochen, es sollten Verwandte jener Jungfrau sein, die zur Königin ausersehen war - das war vielversprechend! Sie hatten Erlend in ein hartes Verhör genommen - hatten eine Art Streckbank bei sich gehabt und einige Burschen, die mit solchen Dingen umzugehen verstanden. Heute aber hatte Olav Kyrning sich geweigert, Erlend aus der Kammer zu führen, und hatte ihn stark bewachen lassen - die Verantwortung dafür würde er auf sich nehmen, denn dies hier war ungesetzlich, ein Vorgehen, das in Norwegen bisher noch nie gehört worden war!
Simon nahm sich von einem der Priester bei der Kirche ein Pferd und ritt gleich mit Olav nach Akersnes hinaus.
Olav Kyrning blickte ein wenig ängstlich in das verbissene Gesicht des anderen, das sich von Zeit zu Zeit mit dunkler Röte überzog. Dazwischen fuchtelte Simon wild und heftig mit dem
Arm herum, scheinbar ohne sich dessen bewußt zu sein - und das fremde Pferd sträubte sich, steilte auf und widersetzte sich dem Reiter.
„Ich sehe Euch an, daß Ihr zornig seid“, sagte Olav Kyrning.
Simon wußte selbst kaum, wo ihm der Kopf stand. Er war so aufgebracht, daß er ein Übelsein empfand. Das Blinde und Wilde, das in ihm wühlte und seine Wut zum Äußersten trieb, war eine Art Scham - ein Mann, der bloß, ohne Waffen oder Wehr, fremde Fäuste in seinen Kleidern dulden mußte, es dulden mußte, wie fremde Leute seinen Körper abtasteten - dies war, wie wenn man von Gewalt gegen Frauen hörte, er wurde ganz wirr vor Rachebegier und dem Drang, Blut dafür zu sehen. Nein, so etwas war hierzulande nie Brauch und Sitte gewesen, sollten die norwegischen Adelsmänner denn jetzt solches erdulden müssen? Das durfte nicht geschehen!
Er war krank vor Entsetzen vor dem, was er zu sehen bekommen würde. Als Olav Kyrning die Tür zu Erlends Gefängnis aufschloß, überwältigte in Simon die Angst vor der Schmach, die er einem anderen Manne zufügen würde, indem er ihn in diesem Zustande sah, alle anderen Gefühle.
Erlend lag ausgestreckt auf dem Boden, schräg von der einen Ecke des Raumes zur anderen; er war so groß, daß er nur auf diese Weise Platz hatte, sich in seiner vollen Länge auszustrecken. Man hatte für ihn ein wenig Stroh und einige Kleider auf die dicke Schmutzschicht des Bodens gebreitet, und der Körper war mit Erlends dunkelblauem, pelzgefüttertem Umhang bis ans Kinn hinauf zugedeckt, so daß der weiche graubraune Marderpelz des Kragens sich mit dem schwarzen, wirren, krausen Bart vermischte, der Erlend während seiner Gefangenschaft: gewachsen war.
Der Mund erschien ganz weiß im Bart; sein Gesicht war schneeweiß.
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