Kristin Lavranstochter 1
wetten, daß du bisher noch nichts davon gehört hast.“
„Es ist so, daß Ingebjörg nichts davon erwähnt hat“, erwiderte Kristin. Sie schürzte den Mund, damit die andere das Lächeln nicht sehen sollte, das hervorwollte. Hm, so also war Ingebjörg... „Vermutlich weiß sie wohl, daß ich nicht zu den Mädchen gehöre, die zum Stelldichein mit fremden Männern hinter Hausecken und Zäunen rennen“, sagte sie stolz.
„Ich hätte es mir sparen können, dir diese Neuigkeiten zu sagen, die nicht zu erwähnen ziemlicher gewesen wäre“, erwiderte Helga verletzt, und die beiden trennten sich.
Aber den ganzen Abend ging Kristin umher und bemühte sich, nicht zu lächeln, wenn jemand sie ansah.
Am nächsten Morgen säumte Ingebjörg so sehr mit dem Anziehen und ging so lange im bloßen Hemd umher, bis Kristin begriff, daß Ingebjörg sich nicht ankleiden wollte, ehe sie selbst fertig war.
Kristin sagte nichts, aber sie lachte, als sie zu ihrer Truhe ging und ihr goldgelbes Seidenhemd hervor2og. Sie hatte es noch nie getragen, und als es an ihrem Körper hinabfloß, war es weich und kühl. Es war mit Silber und blauer und brauner Seide rings um den Hals und über die Brust herab schön verziert, soweit man es im Ausschnitt des Kleides sehen konnte. Dazu gehörten Ärmel von der gleichen Art. Sie zog Leinenstrümpfe an und band sich die kleinen purpurblauen Schuhe fest, die Haakon an jenem Unglückstag glücklich heimgebracht hatte. Ingebjörg sah sie an, da sagte Kristin lachend:
„Mein Vater hat mich stets gelehrt, daß wir uns den Tieferstehenden gegenüber nicht geringschätzig zeigen sollen - aber du bist wohl so groß, daß du dich für Bauern und Pächter nicht so schmücken willst.“
Rot im Gesicht wie eine Beere, ließ Ingebjörg das Wollhemd über ihre weißen Hüffen gleiten und fuhr in die hellrote Seide. - Kristin streifte ihr bestes Samtkleid über den Kopf, es war veilchenblau, über der Brust tief ausgeschnitten und mit geschlitzten Ärmeln, deren Schleppe beinahe bis zur Erde reichte. Sie schlang den vergoldeten Gürtel um die Mitte und hängte ihren Umhang aus Rauchwerk über die Schultern. Dann breitete sie ihr reiches gelbes Haar über Rücken und Schultern aus und legte den goldenen Kopfschmuck mit den kleinen getriebenen Rosen um die Stirne.
Sie sah, daß Helga dastand und ihnen zuschaute. Da nahm sie aus ihrer Truhe eine große Silberspange. Es war dieselbe, die sie an jenem Abend in ihrem Umhang getragen hatte, als Bentein ihr auf der Landstraße begegnet war, und sie hatte sie seitdem nie mehr tragen mögen. Nun ging sie zu Helga und sagte leise:
„Ich weiß wohl, daß du mir gestern einen Gefallen zu erweisen vermeintest, glaube nicht, daß ich dafür undankbar bin“, und sie steckte Helga die Spange an.
Auch Ingebjörg war sehr schön, als sie fertig angekleidet in ihrem grünen Gewand dastand, mit einem roten Seidenumhang über den Schultern und mit ihrem schönen gelockten offenen Haar. Sie hatten sich um die Wette geschmückt, dachte Kristin und lachte darüber.
Der Morgen war kühl und der Tau frisch, als die Prozession aus Nonneseter auszog und in westlicher Richtung nach Frysja ging. Die Heuernte war hier vor der Stadt fast beendet, aber längs den Zäunen standen Glockenblumen und Mariengras in Büscheln; die Gerstenfelder waren in die Ähren geschossen und wogten blaßsilbern mit einem schwachen rosenroten Schimmer. An vielen Stellen, wo der Pfad schmal zwischen den Feldern hindurchführte, schlugen die Halme beinahe um die Knie der Leute zusammen.
Haakon schritt an der Spitze und trug das Abzeichen des Klosters mit dem Bild der Jungfrau Maria auf dem blauen Seidentuch. Hinter ihm gingen das Gesinde und die Pfründnerleute, dann kamen Frau Groa und vier alte Nonnen zu Pferd, und danach folgten die Zöglinge zu Fuß; ihre bunten weltlichen Festkleider leuchteten und schimmerten in der Sonne. Etliche Pfründnerfrauen und ein paar bewaffnete Dienstleute beschlossen den Zug.
Sie sangen, während sie durch die hellen Felder schritten; und wo sie auf den Nebenwegen Leuten begegneten, traten diese zur Seite und grüßten ehrerbietig. Überall ritten und gingen kleine Gruppen von Menschen, denn aus jedem Haus und von jedem Hof strömte das Volk zur Kirche. Alsbald hörten sie hinter sich Lobgesang von tiefen Männerstimmen, und sie sahen das Klosterabzeichen der Hauptinsel über einen Hügel heraufkommen - das rote Seidentuch glänzte in der Sonne, hob und senkte sich mit
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