Kristin Lavranstochter 1
schwitzte stark.
Sie lag lange wach, aber der tiefe Strom von Süßigkeit, der sie dahingetragen hatte, als sie in der Kirche kniete, wollte nicht wiederkommen. Doch sie fühlte noch seine Wärme in sich, sie dankte Gott innig, und es dünkte sie selbst, als fühle sie Kraft im Gemüt, während sie für ihre Eltern und Geschwister und für Arne Gyrdssohns Seele betete.
Vater, dachte sie - sie sehnte sich so nach ihm, nach all dem, was sie miteinander erlebt hatten, che Simon Darre in ihr Leben getreten war. Eine neue Zärtlichkeit für ihn stieg in ihr auf - es war wie ein Vorbote von Mutterliebe und Muttersorge in ihrer Liebe zum Vater an diesem Abend; dunkel ahnte sie, daß es gar vieles im Leben gab, was ihm nicht beschieden worden war. Sie erinnerte sich der alten schwarzen Holzkirche auf Gerdarud - dort hatte sie nun an Ostern die Gräber ihrer drei kleinen Brüder und ihrer Großmutter gesehen, des Vaters
eigener Mutter, Kristin Sigurdstochter, die gestorben war, als sie ihn zur Welt gebar.
Was wohl Erlend Nikulaussohn auf Gerdarud zu tun haben mochte - das konnte sie nicht fassen.
Es war ihr nicht bewußt, daß sie den Abend über noch weiter an ihn gedacht hatte. Aber die ganze Zeit hatte die Erinnerung an sein schmales dunkles Gesicht und an seine stille Stimme irgendwo in der Dämmerung außerhalb des Lichterglanzes über ihren Gedanken geweilt.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, schien die Sonne in die Schlafstube herein, und Ingebjörg erzählte, Frau Groa selbst habe den Laienschwestern befohlen, daß sie nicht zum Frühgesang geweckt werden sollten. Nun durften sie hinübergehen ins Küchenhaus und sich etwas zu essen holen. Kristin wurde warm vor Freude über die Freundlichkeit der Äbtissin - sie empfand es, als wäre die ganze Welt gut gegen sie gewesen.
3
Die Bauerngilde in Aker war Sankta Margareta geweiht und begann ihr Fest jedes Jahr am zwanzigsten Juli, welches der Tag der Margretmesse ist. Da versammelten sich die Brüder und Schwestern mit Kindern, Gästen und Gesinde in der Kirche von Aker und hörten dort die Messe am Margretaltar an; dann zogen sie zur Gildenhalle, die beim Hofvinsspital lag; dort pflegte das Fest fünf Tage lang zu dauern.
Da aber sowohl die Kirche von Aker als das Hofvinsspital zu Nonneseter gehörten und da außerdem viele der Bauern in Aker Pächter des Klosters waren, so war die Sitte aufgekommen, daß die Äbtissin und einige der ältesten Schwestern die Gilde ehren sollten, indem sie den ersten Tag des Festes mitfeierten. Und diejenigen Zöglinge des Klosters, die nur zur Erziehung dort waren, aber nicht in die Schwesternschaft eintreten sollten, durften mitkommen und am Abend tanzen; sie sollten zu diesem Fest ihre eigenen Kleider tragen und nicht die Klostertracht.
Darum ging es am Abend vor der Margretmesse im Schlafhaus der Zöglinge geschäftig her; die Mädchen, die auf das Fest durften, wühlten in ihren Truhen und kleideten sich in ihren Staat, und die anderen gingen etwas bedrückt umher und schau-
ten zu. Einige hatten kleine Töpfe in den Kamin gestellt und kochten sich Wasser, das die Haut weiß und geschmeidig machen sollte; andere brauten etwas, womit sie das Haar einrieben, wenn sie es dann in Stränge abteilten und diese straff um Lederriemen wickelten, bekamen sie krause und geringelte Locken.
Ingebjörg zog alles heraus, was sie an Staat besaß, konnte sich aber nicht klar darüber werden, was sie anziehen sollte -nicht das beste laubgrüne Samtkleid jedenfalls, das war zu kostbar und zu gut, um es auf einem solchen Bauernfest zu tragen. Aber eine kleine magere Schwester, die nicht mitdurfte -Helga hieß sie und war schon als Kind von ihren Eltern dem Kloster geopfert worden -, zog Kristin zur Seite und flüsterte, sicher würde Ingebjörg dennoch das grüne Kleid und auch ihr hellrotes Seidenhemd anziehen.
„Du bist immer freundlich gegen mich gewesen, du, Kristin“, sagte Helga. „Es geziemt sich wenig für mich, mich in solche Händel zu mischen - aber ich will es dir jetzt doch sagen. Dieser Ritter, der euch an jenem Abend in diesem Frühjahr heimgeleitete - ich habe gesehen und auch gehört, daß Ingebjörg seitdem mit ihm gesprochen hat, sie sprachen einander in der Kirche, und er hat oben auf dem Fußpfad zwischen den Gartenzäunen auf sie gewartet, wenn sie zu Ingunn ins Pfründnerhaus ging. Aber du bist es, nach der er fragt, und Ingebjörg hat ihm versprochen, sie würde dich dorthin mitnehmen. Ich möchte aber darauf
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