Kristin Lavranstochter 1
dem Schritt des Trägers.
Die gewaltige Erzstimme der Glocken erschallte über dem Gewieher und Schreien der Hengste, als sie den letzten Teil des Hügels zur Kirche hinaufgingen. Kristin hatte nie so viele Pferde auf einmal gesehen - ein wogendes, unruhiges Meer von glänzenden Pferderücken war ringsum auf dem Rasenplan vor der Kirchenpforte. Auf der Wiese standen und saßen und lagen feiertäglich gekleidete Menschen, aber alle erhoben sich und grüßten, als die Marienfahne von Nonneseter zwischen ihnen hindurchgetragen wurde, und alle verbeugten sich tief vor Frau Groa.
Es schien, als seien mehr Menschen gekommen, als die Kirche aufnehmen konnte, aber für die Leute vom Kloster war ein Platz ganz oben beim Altar frei gehalten worden. Gleich danach kamen die Zisterziensermönche von der Hauptinsel herein und gingen auf den Chor hinauf - und dann dröhnte der Gesang aus Männer- und Knabenkehlen durch die Kirche.
Gegen Ende der Messe, einmal, als alle sich erhoben, fiel Kristins Blick auf Erlend Nikulaussohn. Er war groß, sein
Kopf ragte über die Umstehenden hinaus - sie sah sein Gesicht gerade von der Seite. Er hatte eine hohe steile und schmale Stirne, eine große und gerade Nase, sie sprang wie ein Dreieck vor und war seltsam dünn mit ihren feinen zitternden Flügeln -irgend etwas erinnerte Kristin an einen unruhigen, aufgeschreckten Hengst. Er war nicht so schön, wie sie sich zu erinnern geglaubt hatte, die Muskeln im Gesicht zogen sich gleichsam so unfroh und lang zu dem kleinen weichen und hübschen Mund hinunter - nein, er war dennoch schön.
Er wandte den Kopf und erblickte sie. Sie wußte nicht, wie lange sie so, Auge in Auge, dastanden. Später dachte sie nur noch daran, daß die Messe ein Ende nehmen möge; sie wartete gespannt auf das, was dann geschehen würde.
Als das Volk die überfüllte Kirche verlassen wollte, entstand einiges Gedränge. Ingebjörg zog Kristin mit sich hinter das Gewühl; so wurden sie glücklich von den Nonnen, die zuerst hinausgingen, getrennt und kamen unter die letzten, die zum Opferstock traten und die Kirche verließen.
Erlend stand draußen, gleich bei der Türe, zwischen dem Priester von Gerdarud und einem dicken rotwangigen Mann in prachtvollem blauem Samtgewand. Erlend selbst war in Seide gekleidet, jedoch von dunkler Farbe - der Stoff war braun und schwarz gemustert er trug ein weites Gewand und einen schwarzen Umhang, in den kleine gelbe Falken eingewebt waren.
Sie begrüßten einander und gingen nach dem Rasenplatz zu der Stelle, wo die Pferde der Männer angebunden standen. Während sie einige Worte über das herrliche Wetter, die schöne Messe und die große Menschenmenge, die herbeigeströmt war, wechselten, nahm der dicke rotwangige Herr - er trug goldene Sporen und hieß Ritter Munan Baardssohn - Ingebjörg bei der Hand; er schien ganz besonderes Gefallen an dem Mädchen zu finden. Erlend und Kristin blieben zurück - sie gingen nebeneinander und schwiegen.
Als die Leute wegzureiten begannen, wurde es sehr unruhig auf dem Kirchenhügel - Pferde drängten aneinander vorbei. Menschen riefen, einige waren zornig und einige lachten. Off saßen zwei auf einem Pferde; Männer hatten ihre Frauen hinter sich oder Kinder vorne im Sattel, junge Burschen schwangen sich bei einem Freund auf. Kristin sah die Kirchenfahne, die Nonnen und die Priester schon weit unten am Hügel.
Ritter Munan ritt vorbei; Ingebjörg saß vor ihm in seinem Arm. Sie riefen und winkten beide. Da sagte Erlend:
„Meine Leute sind bei mir, sie könnten auf einem Pferd reiten, und Ihr bekommt Haflors Pferd - wenn es Euch lieber ist?“
Kristin wurde rot, als sie antwortete:
„Wir sind nun schon so weit hinter den anderen - ich sehe Eure Leute nicht, so daß...“ Sie mußte lachen, und Erlend lächelte.
Er schwang sich in den Sattel und half ihr, sich hinter ihn zu setzen. Daheim hatte Kristin oft so hinter dem Vater gesessen, nachdem sie zu groß geworden war, sich rittlings auf den Pferderücken zu schwingen. Trotzdem fühlte sie sich ein wenig verlegen und unsicher, als sie ihren einen Arm auf Erlends Schulter legte; mit der anderen Hand stützte sie sich auf die Kruppe des Pferdes. Sie ritten langsam zur Brücke hinunter.
Nach einer Weile dünkte es Kristin, daß sie sprechen müsse, da er es nicht tat; so sagte sie:
„Es kam unerwartet, Herr, Euch heute hier zu treffen.“
„Kam es unerwartet?“ fragte Erlend und wandte sich zurück zu ihr. „Hat denn nicht Ingebjörg
Weitere Kostenlose Bücher