Kristin Lavranstochter 1
wie erbärmlich ich sei. Aber ich bemerkte nicht, daß Simon sich viel aus mir machte, ehe er wußte, daß ich einen anderen Mann lieber hatte als ihn.“
„Geht heim“, befahl die Mutter den beiden Kleinen. Sie setzte sich auf einen Stamm, der dort lag, und zog Kristin an ihre Seite. „Du weißt wohl“, begann sie, „man hat es stets für am schicklichsten und ehrenhaftesten angesehen, daß ein Mann nicht zuviel von Liebe zu seiner Braut spreche - allein mit ihr zusammensitze oder sich zu heftig zeige ...“
„Ach, ich möchte wissen“, fiel Kristin ihr ins Wort, „ob junge Leute, die einander liebhaben, sich niemals vergessen, sondern stets daran denken, was die Alten für schicklich erachten.“
„Hüte dich davor, du, Kristin“, warnte die Mutter, „daß du das jemals vergissest.“ Sie schwieg einige Zeit. „Freilich, ich verstehe: dein Vater fürchtet, du habest deine Liebe einem Mann zugewandt, dem er dich ungern geben will.“
„Was hat mein Oheim gesagt?“ fragte Kristin eine Weile später.
„Nichts anderes“, erwiderte die Mutter, „als daß Erlend von Husabys Sippe besser sei als sein Ruf. Ja, Erlend hat wohl Aasmund gebeten, bei Lavrans ein Wort für ihn einzulegen. Dein Vater ward wenig froh, als er dies hörte.“
Aber Kristin saß strahlend da. Erlend hatte mit ihrem Oheim gesprochen. Und sie hatte so sehr gelitten, weil er nichts von sich hatte hören lassen!
Da sagte die Mutter wieder:
„Aasmund hat etwas davon erwähnt, es sei in Oslo das Gerücht gegangen, dieser Erlend habe sich in den Straßen rings um das Kloster herumgetrieben, und du seist hinausgegangen und habest mit ihm an den Zäunen gesprochen.“
„Und?“ fragte Kristin.
„Aasmund rät ja zu diesem Handel, verstehst du“, sagte Ragnfrid. „Da aber wurde Lavrans ärgerlicher, als ich ihn je gesehen habe. Er sagte, ein Freier, der diesen Weg zu seiner Tochter gehe, solle ihn mit dem Schwert in der Hand finden. Unehrenhaft genug sei die Art, wie wir uns den Leuten auf Dyfrin gegenüber betragen hätten, aber wenn Erlend dich verlockt habe, im Dunkeln mit ihm in den Gassen umherzulaufen, noch dazu, während du in einem Nonnenkloster warst, so sähe er dies als ein vollgültiges Zeichen dafür an, daß dir besser damit gedient sei, wenn du diesen Gatten verlörest.“ Kristin preßte die Hände im Schoß zusammen - die Farbe kam und ging in ihrem Gesicht. Die Mutter legte einen Arm um ihre Mitte, aber Kristin entwand sich ihr und schrie außer sich:
„Laßt mich, Mutter, wollt Ihr etwa fühlen, ob ich um die Mitte dicker geworden sei...“
Im nächsten Augenblick stand sie auf und hielt die Hand gegen ihre Wange - verwirrt blickte sie in die funkelnden Augen der Mutter. Niemand hatte sie geschlagen, seit sie ein kleines Kind gewesen war.
„Setz dich“, sagte Ragnfrid. „Setz dich“, wiederholte sie so, daß die Tochter gehorchte. Einige Zeit saß die Mutter schweigend da; als sie redete, war ihre Stimme unsicher.
„Ich habe es wohl bemerkt, Kristin, sehr gut hast du mich nie leiden können. Ich dachte, es sei vielleicht deshalb, weil du glaubtest, ich liebte dich nicht so sehr - nicht so, wie dein Vater dich liebt. Ich ließ es dabei bewenden und dachte, wenn einmal die Zeit kommt, da du selbst Kinder geboren hast, dann wirst du es wohl verstehen.
Ich stillte dich noch, da strecktest du schon deinem Vater die Hände entgegen, sowie er sich näherte, und ließest meine Brust, so daß dir meine Milch über die Lippen rann. Lavrans fand dies lustig - und Gott weiß, daß ich es ihm gönnte; ich gönnte es auch dir, daß dein Vater scherzte und lachte, sooft er dich sah. Mich dünkte selbst, es sei Sünde und es sei schade um dich, du kleines Wesen, daß ich das viele Weinen nicht sein lassen konnte. Ich dachte mehr darüber nach, ob ich auch dich verlieren sollte, als ich mich darüber freute, dich zu besitzen. Aber Gott und die Jungfrau wissen es, daß ich dich nicht weniger liebe, als Lavrans es tut.“
Die Tränen rannen Ragnfrid über die Wangen, doch ihr Gesicht war ganz ruhig und ihre Stimme auch.
„Gott weiß, daß ich um der Freundschaft willen, die zwischen euch bestand, nie einen Groll gegen ihn oder dich hegte. Ich dachte, daß ich ihm nicht allzuviel Freude geschenkt hatte in den Jahren, die wir zusammen lebten; ich war froh, daß er dich besaß. Auch dachte ich, wäre Ivar, mein Vater, so gegen mich gewesen ...
Es gibt viele Dinge, Kristin, vor denen sich zu hüten eine Mutter ihre
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