Kristin Lavranstochter 2
über.
„Sie wollte am Ende der Weihnachtstage zum Frühgesang gehen - sie ging allein, und der Weg von ihrem Hof führt ein weites Stück durch den Wald. Dort begegnete sie zwei Männern - es war noch dunkel, sie weiß nicht, wer sie waren, vielleicht waren es Verbannte aus dem Gebirge drinnen. Und schließlich konnte sie sich nicht mehr wehren, das schwache junge Kind. Keinem wagte sie ihre Not zu klagen - als die Mutter und der Vater ihr Unglück erkannten, jagten sie sie mit
Schlägen und Verwünschungen von daheim weg. Sie weinte, Mutter, daß es den Stein im Felsen hätte erbarmen können, als sie mir das alles erzählte.“ Naakkve schwieg plötzlich und atmete schwer.
Kristin meinte, ein großes Unglück sei es, daß diese Schurken entkommen seien. Sie hoffe, daß Gottes Gerechtigkeit sie finden möge und daß sie den wahren Lohn für ihre Tat auf der Richtstätte erhielten.
Da begann Naakkve von Eyvors Vater zu sprechen, er sei reich und mit dem und jenem angesehenen Geschlecht verwandt. Eyvor wollte das Kind in einem anderen Tal aufwachsen lassen. Gudmund Darres Frau habe ein Buhlenkind mit einem Priester gehabt - und Sigrid Andrestochter säße nun auf Kruke, geborgen und geehrt. Man müßte nicht nur hartherzig, sondern auch ungerecht sein, wollte man meinen, Eyvor sei so ganz verdorben, weil sie gegen ihren Willen diese Schmach und dieses Unglück hatte erdulden müssen - sie könne wohl trotzdem noch dazu taugen, die Frau eines ehrbaren Mannes zu werden.
Kristin bedauerte das Mädchen und verwünschte die Übeltäter - und lobte und pries in ihrem Herzen das Glück, daß Naakkve erst in drei Jahren mündig wurde. Dann bat sie ihn sanft, daran zu denken, daß er jetzt vorsichtig sein müsse, Eyvor nicht noch spät am Abend in ihrer Kammer aufsuchen dürfe wie heute nacht und sich überhaupt nicht auf Uldsvolden sehen lassen solle, ohne einen Auftrag an die Hofleute dort zu haben, sonst könne er gegen seinen Willen die Ursache dafür sein, daß man noch häßlicher über das unglückliche junge Mädchen spreche. Ja, er könne wohl leicht sagen, sie sollten seine Fäuste zu spüren bekommen, jene, die ihre Zweifel an Eyvors Worten äußerten und nicht glauben wollten, daß das Mädchen schuldlos in dieses Unglück geraten sei, es würde trotzdem schlimm sein für das arme Wesen, wenn noch mehr Gerede entstünde . . .
Drei Wochen später kam Eyvors Vater und holte die Tochter zu Verspruchsbier und Hochzeit heim. Ein guter Bauernsohn aus ihrem Tal wollte sie haben; zuerst hatten die beiden Väter sich gegen die Heirat gewehrt, denn sie lagen wegen ein paar Äckern miteinander im Streit. In diesem Winter nun waren die Männer einig geworden, und die beiden Kinder sollten miteinander verlobt werden, da aber wollte Eyvor plötzlich nicht -sie hatte ihre Liebe einem anderen Mann zugewandt. Hinterher aber begriff sie, daß es wohl zu spät war, ihren ersten Freund zu verschmähen. Unterdessen kam sie zu ihrer Muhme in Sil auf Besuch und hatte wohl geglaubt, daß sie hier Hilfe für ihren Zustand finden könnte, denn jetzt wollte sie durchaus diesen neuen Mann haben. Als aber Hillebjörg auf Uldsvolden sah, wie es um das Mädchen stand, sandte sie Eyvor zu den Eltern zurück. Daß ihr Vater wütend geworden war und die Tochter ein paarmal geschlagen hatte und daß Eyvor wieder nach Uldsvolden geflohen war, das hatte allerdings seine Richtigkeit. Nun aber war ihr Vater mit dem ersten Freier einig geworden - und jetzt mußte Eyvor mit ihm vorliebnehmen, sowenig ihr dies auch zusagte.
Kristin sah, das Naakkve es schwernahm. Viele Tage ging er umher und sagte kaum ein Wort, und der Mutter tat er so leid, daß sie kaum zu ihm hinzublicken wagte - denn wenn er ihren Augen begegnete, dann wurde er so rot und sah so beschämt aus, daß es Kristin ins Herz schnitt.
Wenn das Gesinde auf Jörundhof über dieses Ereignis sprechen wollte, gebot die Herrin scharf, sie sollten den Mund halten - über diese schmutzige Geschichte und dieses elende Weib sollte in ihrem Hause nicht geredet werden. Frida war sehr erstaunt: sie hatte doch Kristin Lavranstochter so manches Mal mild urteilen hören und hatte gesehen, wie sie mit vollen Händen jedem Mädchen half, das in ein solches Unglück geraten war - Frida selbst hatte zweimal in der Barmherzigkeit ihrer Herrin Schutz gefunden. Aber die wenigen Worte, die Kristin jetzt über Eyvor Haakonstochter äußerte, waren so häßlich, wie sie nur eine Frau über eine andere sagen
Weitere Kostenlose Bücher