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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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trotzdem nett«, sagte Janec.
    Basia lachte und zwinkerte zu Andrzej hinüber. Der stand brummig neben dem Kamin und stocherte in der Glut.
    Sie tanzten lange und saßen später noch länger um das Feuer herum und schwatzten. Keiner hatte rechte Lust in die kalten Baracken zum Schlafen zu gehen.
    Stanek setzte sich neben Kristina und starrte sie unentwegt an.
    »Was macht euer Antrag?«, fragte er.
    »Erinnere mich bloß nicht daran«, seufzte Kristina. »Er wird den Weg seiner acht Vorgänger gehen. Ablehnung, Widerspruch in Warschau, vierzig Zlotys, endgültige Ablehnung. Neuer Antrag, hundert Zlotys, noch einmal das ganze Theater. Und hier für eine Bescheinigung fünfzehn Zlotys, da zehn Zlotys. So ziehen sie uns das Geld aus der Tasche . . .«
    »Wir haben auch wieder einen in der Rennbahn«, sagte Stanek. »Ich bin froh, wenn es endlich klappt.«
    »Warum? Du bist doch hier groß geworden, sprichst kaum Deutsch.«
    »Ich bin da zu Hause, wo es mir gut geht. Die Sprache werde ich schon lernen. Mein Vetter Ludwig hat mir geschrieben. Er will in vier Wochen mit einem eigenen Wagen zu Besuch kommen. Verstehst du?«
    »Warum sollte er nicht?«, fragte Kristina.
    »Mit einem eigenen Wagen! Mensch! Er ist Dreher in einem Hüttenwerk. Arbeiter. Und hat einen tollen Wagen. Kann er sich leisten. Sicher, er kloppt Überstunden. Aber er schreibt, er hat gespart und das Geld bar auf den Tisch gelegt.«
    »Und warum imponiert dir das so?«
    »Na, denk doch mal nach! Hier kostet der Trabant, was weiß ich, fünfundvierzigtausend Zlotys. Ich verdiene im Monat tausend Zlotys. Wenn ich drüben bin, verdiene ich viel Geld. Vielleicht dauert es gar nicht lange, dann habe ich selbst einen Wagen. Genau wie mein Vetter.«
    Kristina lachte. »Wirst doch derselbe Stanek bleiben«, sagte sie.
    »Aber fein in Schale«, antwortete er.
    »Was du dir nur einbildest«, sagte sie.
    »Vielleicht habe ich Chancen bei dir, wenn ich erst jemand bin.«
    »Du redest dämlich«, sagte Kristina. »Auf die Schale kommt es mir nicht an.«
    »War das ein Angebot?«, fragte Stanek und rückte näher. Sie wurde rot.
    »Sei nicht dumm, Stanek. Du weißt, ich mag dich gut leiden. Aber damit hat es sich.«
    »Wart nur«, sagte er, »wenn ich erst die Tür an meinem Porsche aufhalte. Dann sag ich: ›Bitte sehr, gnädiges Fräulein‹, und dann sag mal Nein.«
    »Ach, Stanek, noch sind wir in Polen. Und offen gestanden, mir ist’s auch recht. Wenn mein Vater nicht drüben wäre und Großmutter nicht ständig bohrte, ich glaube, mir wär’s lieber, wir blieben hier.«
    Basia ging als Erste zum Schlafsaal hinüber.
    »Soll ich dich wecken?«, fragte sie Kristina.
    »Ja. Aus Freundschaft«, antwortete die.
    Nur neun zogen am nächsten Morgen zähneklappernd gegen halb sieben los. Es war noch ziemlich dunkel. Raureif hatte wieder Gras und Strauch dick eingepudert und die weiße Pracht machte die Nacht hell.
    Stanek hatte sich aufgerafft, wohl von Janina überredet; Andrzej wollte Basia nicht allein gehen lassen. Janec hatte sich wohlig auf die andere Seite gewälzt und geflüstert: »Verrücktes Volk.«
    Auf halbem Weg trafen sie eine Gruppe von Männern und dunkel gekleideten Frauen, die, die Kopftücher tief in die Stirnen gezogen, offenbar auch zur Kirche gingen.
    »Morgen, Kinderchen«, rief eine Frau, »kalt heute Morgen, nicht?«
    »Und ob«, sagte Janina. »Wie weit ist es noch?«
    »Ach, nicht mehr sehr weit. Wenn wir erst aus dem Wald heraus sind, dann noch ein kleines Viertelstündchen.«
    Die Kirche, ein rotes Backsteingebäude, hatte die Sonne der letzten Tage ein wenig gespeichert. Sie war zudem gedrängt voller Menschen. Auch das macht warm. Ein junger Priester predigte leidenschaftlich und lange. Kristina duselte nach der kurzen Nacht vor sich hin. Der vertraute Duft von Weihrauch und Mottenpulver stieg ihr in die Nase. Die Lieder sang sie, sie betete mit, aber alles so, als ob sie von einem starken Strom mitgetragen wurde. Es war ihr wie bei der großen Wallfahrt mit Großmutter nach Tschenstochau. Die letzten dreißig Kilometer waren sie zu Fuß gelaufen, hatten in einer Bauernkneipe übernachtet und waren am zweiten Nachmittag müde und glücklich bei der schwarzen Madonna angekommen. Auch da war sie in der Woge des Betens und Singens mitgetragen worden. Erst Großmutters scharfes Flüstern »Hast du unser Anliegen vorgetragen?« hatte sie wieder aufs Land zurückgeworfen.
    Die Sonne schien, als sie nach der Messe auf den Platz vor der Kirche

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