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Kristina, vergiß nicht

Kristina, vergiß nicht

Titel: Kristina, vergiß nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Der Lauf in der neuen Zeile klang ein wenig holprig.
    »Den Part müssen Sie sich gründlich vorknöpfen«, rief Doktor Schmuda. »Er kommt zu hart.«
    Hans-Jörg flötete seinen Stamitz leicht und beinahe auswendig. »Gut geübt. Beide gut geübt. Etwas mehr Wärme, Hans-Jörg, wenn ich Sie bitten darf.« Doktor Schmuda verschloss den Notenschrank und seufzte erleichtert: »Gut, dass ich nicht in der Jury sitze. Ihre Stücke sind technisch gleich schwierig. Beide flöten Sie ausgezeichnet. Gut, dass ich nicht in der Jury sitze.« Er reichte ihnen die Hand.
    »Und heute Nachmittag kein schweres Training mehr, wenn ich Ihnen raten darf. Machen Sie lieber einen Spaziergang.«
    »Sie meinen, wir beide zusammen?«, lachte Hans-Jörg.
    »Grundsätzlich enthalte ich mich da der Stimme«, ging Doktor Schmuda auf den Scherz ein. »Aber für heute empfehle ich: getrennt. Denn jede Aufregung schadet jetzt nur.«
    Die Stunde hatte schon begonnen, als sie zur Klasse zurückgingen.
    »Kristina«, sagte Hans-Jörg und blieb stehen. »Du glaubst doch nicht, ich hätte die Sonate verändert?«
    »Nein, Hans-Jörg. Das glaube ich nicht von dir. Aber ein Rätsel ist es doch.«
    Als sie sich bei Brandy wegen des Zuspätkommens entschuldigen wollten, winkte die Lehrerin ab.
    »Hab’s schon gehört. Doktor Schmuda hat euch bestellt. Diese Künstler sind nicht an Ordnung zu gewöhnen.«
    Nach der Stunde bat Brandy: »Kristina, bleiben Sie noch einen Augenblick.«
    Alle gingen hinaus und Kristina hatte genügend Gelegenheit zu überlegen, was sie wohl auf dem Kerbholz hatte. Vielleicht ist der letzte Aufsatz danebengegangen, dachte sie. In Deutsch eine Fünf, das durfte nicht sein. Endlich war sie mit Brandy allein.
    »Setzen Sie sich, Kristina«, sagte Brandy und zündete sich eine Zigarette an.
    »Ist es wegen des letzten Aufsatzes?«, fragte Kristina.
    »Aber nein, Kristina. Der ist, warten Sie mal«, sie schlug ihre Mao-Bibel auf – so nannten die Schüler ihr rotes Zensurenbuch – und fuhr fort: »Der ist knapp befriedigend.«
    Kristina atmete auf.
    »Es ist mehr privat. Verstehen Sie meine Frage bitte nicht falsch. Was werden Sie morgen beim Vorspielen anziehen?«
    Kristina wurde rot. »Mein Vater hat mir, als wir ankamen, einen hellblauen Hosenrock gekauft. Mutter sagt, der steht mir gut.«
    »Und was meinen Sie selbst?«
    »Ich meine das auch, obwohl ich nicht weiß, ob ein Hosenrock für eine solche Veranstaltung das Richtige ist.«
    »Eben«, sagte Brandy. »Ich wohne mit meiner Schwester zusammen. Die hat genau Ihre Figur, glaube ich. Ich habe gestern mit ihr gesprochen. Da hängt noch ein schönes Kleid. Wenn Ihnen das gut genug ist?«
    »Aber Frau Brandstädter!«, stotterte Kristina.
    »Wissen Sie was? Ich lade Sie in meinen Elefanten und Sie fahren eben mit mir. Sie probieren es an und wir werden sehen.«
    Kristina hatte gar keine Gelegenheit mehr, Einwände zu machen. Der kleine rote Zweisitzer brachte sie in wenigen Minuten in das Carolingerviertel, die schönste Wohngegend der Stadt. Das Haus lag hinter einem Rasengrundstück, das durch eine hohe Hecke zur Straße hin abgeschirmt war.
    »Eine Oase«, sagte Brandy. »Das haben meine Schwester und ich vor sechs Jahren gebaut.«
    Sie schloss die Haustür auf und rief: »Ottie, ist mein Schwesterherz schon zurück?«
    »Kommt heute nicht«, grollte eine Stimme ärgerlich aus der Küche. »Hat gerade angerufen. Kommt mal wieder nicht.«
    »Ich esse auch eine halbe Stunde später«, rief Brandy und schritt vor Kristina die Treppe ins Obergeschoss hinauf.
    »Weiß der Kuckuck, wozu ich überhaupt koche«, tönte es unten entrüstet aus der Küche.
    »Kommen Sie nur herein«, sagte Brandy. »Hier, das ist es.«
    Auf der Liege in einem Arbeitszimmer lag ein langärmeliges Kleid aus einfarbigem, altrosa Wollstoff. Der Kragen schloss hoch und war mit einem winzig schmalen weißen Pelzstreifen abgesetzt.
    »Am besten, Sie probieren es an.«
    »Meinen Sie?«, fragte Kristina und strich über den Pelzbesatz.
    »Aber sicher. Julia trägt es ganz gewiss nicht mehr. Sie hat es ein einziges Mal angehabt. ›Kratzt‹, hat sie gesagt. Und damit war’s für sie erledigt.«
    Kristina fand das Kleid wunderschön.
    »Ich rede eben mit Ottie«, sagte Brandy und ging hinaus.
    Schnell streifte Kristina ihr Kleid ab und schlüpfte in das neue. Sie zog die Reißverschlüsse zu. Es passte tatsächlich wie angegossen. Brandy trat wieder ein.
    »Drehen Sie sich.«
    Brandy musterte sie von allen

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