Kristina, vergiß nicht
den Staat verschenkt.«
»Verschenkt?«, fragte John erstaunt.
»Keiner darf raus, der Grundbesitz hat oder dem ein Haus gehört.«
»Sie konnten doch verkaufen.«
»Für ein paar Zlotys und hier ist der Zloty zu fünf Pfennig. Nein. Wenn man drüben verschenkt, dann gibt es hier Lastenausgleich.«
»Aha.«
»War gar nicht so einfach«, erzählte Bronski. »Muss alles notariell abgemacht werden. Und die Kosten für den Notar, die musst du noch selber bezahlen. Aber es war doch richtig. Ich habe den Antrag gestellt und bald bekomme ich hier eine hübsche Summe.«
»Werden Sie aufs Land gehen?«
»Aber nein. Ich hätte vielleicht auf Schweizer umschulen können in Unna. Aber ich arbeite in der Fabrik am Hochofen. Verdiene neunzehnhundert im Monat. Reines Geld. Wenn wir die Entschädigung bekommen, dann mieten wir eine schöne Wohnung, kaufen Möbel und es geht uns gut.«
»Richard, Richard«, schallte es im Flur.
»Ach, meine Alte. Ich muss rüber. Danke für den Tee, Frau Bienmann. Und Ihnen viel Glück und harten Nacken für den Plan mit den Kindern«, sagte er und ging hinüber.
»Der Tee ist inzwischen kalt geworden«, sagte Großmutter.
»Da steht Brot und alles auf dem Tisch.« Sie stand mühsam von ihrem Stuhl auf. »Es wird Ihnen nichts ausmachen, wenn ich mich ein wenig aufs Bett lege. Ich bin immer so müde in der letzten Zeit.«
Als Kristina John zur Haustür brachte, sagte sie: »Ich mache mir Sorgen um Großmutter. Sie hustet nachts oft.«
»Schick sie zum Arzt, Kristina. Mit alten Leuten und kleinen Kindern muss man vorsichtig umgehen.«
Der Tag vor dem Konzert hatte für Kristina zwei recht gegensätzliche Erfahrungen gebracht. Sie war mit Hans-Jörg in der zweiten Pause in den großen Musikraum bestellt worden.
»Noten und Instrumente sollen Sie mitbringen, hat er gesagt«, richtete der Hausmeister aus.
»Was fällt dem denn ein?«, protestierte Hans-Jörg, aber er ging doch mit.
»Aufgeregt?«, fragte er.
»Ein bisschen«, gestand sie.
»Ist halb so schlimm. Du wirst sehen, wenn du erst spielst, vergisst du die Gaffer.«
»Ja, ich weiß. Ich habe im Jugendclub gespielt. Und da ging es mir genauso.«
Hans-Jörg war nach dem Ausrutscher vor Ostern nett wie früher zu ihr gewesen.
»Was mag Schmuda wollen?«, fragte sie ihn.
»Keine Ahnung.«
Doktor Schmuda saß in seinem Lehnstuhl hinter dem Pult und wartete. Als sie hereinkamen, starrte er sie an, bis sie dicht vor ihn getreten waren und Hans-Jörg zum zweiten Male laut »Guten Tag, Herr Doktor« sagte.
»Ich gehöre diesmal nicht der Jury an«, begann Doktor Schmuda. »Die Kollegen der Nachbarschulen und der Leiter des Konservatoriums machen das allein. Das gibt mir Gelegenheit heute schon zu hören, was Sie aus den Noten gemacht haben. Beginnen Sie bitte, Kristina.«
Kristina stellte die Noten zurecht. Sie hätte sie möglicherweise gar nicht gebraucht, so oft hatte sie die Bourreé gespielt. Sie begann.
»Halt!«, rief Doktor Schmuda plötzlich. »Sie haben ein paar Takte überschlagen.«
Kristina unterbrach ihr Spiel. »Überschlagen?«, fragte sie.
»Klar«, bestätigte Hans-Jörg. »Die Zeile mit den schnellen Läufen hast du ausgelassen.«
»Aber nein«, wehrte sich Kristina.
Doktor Schmuda sprang auf, nahm die Notenblätter vom Pult und sah sie durch.
»Eigenartig«, sagte er. Auch Hans-Jörg trat hinzu, fixierte das Blatt genau, hielt es schließlich gegen das Licht und sagte: »Es fehlt tatsächlich eine Zeile. Wie rausgeschnitten.«
»Woher haben Sie die Noten?«, fragte Doktor Schmuda.
»Hans-Jörg hat sie mir fotokopieren lassen.«
»Sind das wirklich die Blätter, die ich dir gab?«, fragte Hans-Jörg misstrauisch.
»Wieso? Denkst du, ich habe an den Noten herummanipuliert?« Sie stand vor ihm, zornig funkelten ihre Augen.
»Du nicht? Aber wer dann . . .?«, fragte Hans-Jörg und wurde unsicher.
»Ja, wer dann?«, wiederholte Doktor Schmuda. »Wer dann?«
»Sie meinen doch wohl nicht, ich hätte so etwas getan?«, protestierte Hans-Jörg.
»Ich meine gar nichts. Ich frage mich nur, wer dann?«
»Ich war es bestimmt nicht. So etwas würde ich nie machen.«
»Vielleicht war es ein Versehen beim Ablichten?«, sagte Kristina.
»Versehen? Da kennst du meine Frau Mama schlecht. Bei der gibt es kein Versehen.«
Doktor Schmuda wühlte in seinem Notenschrank. Es dauerte eine Weile, bis er ein Bach-Album hervorzog und sagte: »Wusste ich es doch. Hier ist die a-Moll-Sonate.«
Kristina begann von vorn.
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