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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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nie bereut. Ein Beruf, zu dem man nicht berufen ist, kann nur eine Qual, vielleicht sogar ein Verbrechen an sich selbst sein. Was nützen dir die leckersten Speisen auf dem Teller, wenn dir von ihrem Genuss regelmäßig schlecht wird? Bist du wer, nur weil du irgendeinen erlernten Beruf hast?
    Seeler wollte ihn trotzdem nicht fallen lassen und versuchte, ihn beim Staatlichen Rundfunkkomitee unterzubringen. Als Presseauswerter. Irgendwer hatte ihm von dieser Ausbildungsmöglichkeit erzählt und der Lenz las doch so gern; vielleicht war das ja was für ihn.
    Manne fand, dass sich das gut anhörte, den ganzen Tag nur Zeitung lesen und wichtige Artikel ausschneiden. Hatte er sich nicht schon in Mutters Kneipe regelmäßig die Zeitung geschnappt? Vielleicht war das ja tatsächlich der Beruf der Berufe für ihn. So fuhr Seeler mit ihm nach Schöneweide, er stellte sich vor – und wurde abgelehnt. Und auf der Rückfahrt warf Seeler ihm Dummheit vor. Wie hatte er nur in seinen Westklamotten dort antanzen können! Im Staatlichen Rundfunkkomitee! Seine Jeans, die blaue Porsche -Jacke; da hätten die doch gleich gesehen, wes Geistes Kind er war.
    Manne war nicht weniger empört. Weshalb hatte der Seeler ihm denn nicht gesagt, dass er sich zu maskieren hatte? Und was hätte er denn schon groß davon gehabt, sich in dieses »Komitee« zu mogeln? Irgendwann hätten die ja doch gemerkt, wer er wirklich war. Wer ihn nicht in der Originalverpackung wollte, bekam ihn eben gar nicht. Punkt!
    Er fing dann im VEB OLW an, in der Omnibus- und Lastkraftwagenreparaturwerkstatt, eine Firma, dicht an der Grenze nach WestBerlin, in der bereits vier Fünftel der Insulaner arbeiteten: Manne Lenz, der Hilfsexpedient; Manne Lenz, Richard Dieks rechte Hand. Und siehe da, er fühlte sich in den riesigen, nach Benzin und Öl stinkenden Reparaturhallen nahe dem Treptower Flutgraben nicht unwohl. Zwar verlangte seine Expedienten-Tätigkeit mehr körperlichen als geistigen Einsatz, doch wollte er hier ja nicht sein Leben verbringen.
    LKWs mit ausgebauten Motoren und Getrieben, Kühlern, Batterien, Anhängerkupplungen und defekten Kleinteilen kamen auf den Hof gefahren, er und Pius – Richard Dieks unzuverlässige linke Hand – luden alles ab, hängten an jedes Teil eine Reparaturmarke und transportierten den ganzen Klumpatsch in die Waschanlage. Irgendwann kamen die Teile dann sauber gewaschen und repariert zurück und wurden zum Abtransport verladen. Während der Arbeit konnte man sich was erzählen, flachsen oder Witze reißen oder den Damen vom Büro nachpfeifen. »He, Olga, deine Strumpfnaht sitzt schief. Soll ich sie dir mal grade rücken?«
    Hier bekam er mal andere Luft zu atmen und er lernte neue Leute kennen. Das gefiel ihm, und so dauerte es nicht lange und er war so etwas wie der Zauberlehrling der Expedition, fuhrwerkte überall herum, wusste über alles Bescheid und ließ sich von Richard Diek – dem Kopf des Ganzen – dafür loben.
    War mal eine Flaute, verdrückte er sich in einen der zur Reparatur bereitstehenden Doppelstockbusse, Oberdeck, und rauchte zwei oder drei. Wer ihm dabei Gesellschaft leistete? Ete Kern, der hier seine Lehre machte. Der Länge nach in die Sitzbänke gefläzt, führten sie ihre nächtlichen Diskussionen fort. Doch hatte Manne seine Ansprüche in letzter Zeit etwas heruntergeschraubt. Wenn man seine Talente nicht in einen Beruf einbringen konnte, welche Chancen boten sich einem dann? Hatte er deshalb zwei Jahre Schule angehängt, um hier den Hilfsexpedienten zu spielen? Und noch viel schlimmer: Wenn er sich in dieser Rolle nicht mal unwohl fühlte, bedeutete das nicht, dass all seine hochtrabenden Pläne nur Spinnereien waren?
    Dass Manne sich in Dieks Expedition nicht unwohl fühlte, lag zum größten Teil an Richard Diek selbst. Der sehr kleine, sich stets korrekt gebende Sechzigjährige mit dem strengen Mittelscheitel im grauen Haar, der als junger Mann an der rechten Hand zwei Finger verloren hatte, mit dieser Hand aber sehr geschickt umgehen konnte und das jedem beweisen wollte, war noch einer vom »alten Schlag«; immer pünktlich, immer zuverlässig, immer korrekt. In seinem Büro hing ein Spruch an der Wand:
    Arbeit und Fleiß, das sind die Flügel.
Sie führen über Berg und Hügel.
    Manne klebte mal einen neuen Text drüber:
    Arbeit und Fleiß, das sind die Hügel.
Kommste nicht rüber, setzt es Prügel.
    Richard allerdings – er durfte ihn schon bald beim Vornamen nennen – hatte darüber nicht

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