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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Phrasen seien, in Wahrheit schafften die Bauern es nur nicht, die Knollen aus der Erde zu holen, weil sie nach Plan arbeiteten und nicht nach Notwendigkeit, nickte er breit grinsend: »Richtig! Das ist der Hauptgrund. Alles andere ist nur Dialektik. Gut, dass Sie das erkannt haben.«
    Ein anderes Mal diskutierte Wissarionowitsch mit ihnen den immer wieder verlangten, viel gepriesenen Fortschritt. Wenn Fortschritt bedeute, aus Fehlern zu lernen, dann sei das keine schlechte Sache, sagte er, aber die Fehler müssten erst einmal erkannt und zugegeben werden. Daraufhin meldete Manne sich und sagte, in der Theorie klinge das ja ganz gut, in der Praxis aber kenne er niemanden, der bereit sei, irgendwelche Fehler zuzugeben. Er dachte dabei an Papa Reiser und seine Nebengötter, an den Seeler und so manchen von Wissarionowitschs Kollegen.
    Seeler hätte auf diese Feststellung mit einer langen, weitschweifigen, der eigentlichen Frage ausweichenden Tirade geantwortet, Wissarionowitsch sagte nur: »Tja, da haben Sie leider Recht. Und weil das so ist, tun wir uns so schwer mit unseren Ideen. Was aber nicht heißen muss, dass unsere Ideen falsch sind.«
    Wieder ein anderes Mal, während eines sehr lebhaften Streitgesprächs, sagte Manne ironisch, er verstehe so viel Dialektik nicht, er sei ja nur ein kleinbürgerliches Individuum. Da wurde Wissarionowitsch zornig. »Nicht, wo einer herkommt, ist wichtig«, wies er ihn zurecht, »sondern, wo er hin will. Lassen Sie sich das von niemandem ausreden.«
    Wissarionowitsch war ein Lehrer, wie ihn sich der liebe Gott – an den der Kommunist und Atheist Bachner natürlich nicht glaubte – bei der Erschaffung der Welt erträumt haben mochte, und damit eine Ausnahmeerscheinung. Manne Lenz hatte das Glück, Jahre später noch einmal von ihm unterrichtet zu werden.
    Der Berufswunsch!
    »Irgendwas mit Büchern. Vielleicht Buchhändler. Oder Bibliothekar.«
    »Wird zurzeit nicht benötigt. Wir brauchen Maurer, Dreher, Mechaniker.«
    Maurer war der Vater schon. Das musste sich ja nicht vererben. Und Dreher? Den ganzen Tag an der Maschine stehen, Werkstück einspannen, Werkstück ausspannen? Dann schon lieber Mechaniker.
    »Also gut!« Der Glatzkopf von der Berufslenkung machte ein Gesicht, als habe er soeben eingewilligt, Manne Lenz zu heiraten. »Funk- und Fernsehmechaniker. Beim Deutschen Fernsehfunk in Adlershof. Eine sehr schöne Sache! Aber natürlich nur, wenn se dich nehmen und auch behalten.«
    Wie wurde er auf der Insel beneidet! Fernsehen, das war die Zukunft! Und was er in diesem Job so nebenbei noch alles verdienen konnte! Die Fernsehfritzen machten doch alle ihre schnelle Mark.
    Manne blieb skeptisch. Er war kein Herrmann Holms, der sich in alles, was elektrisch war, hineinverkriechen konnte wie in einen süßen Brei; war überhaupt kein Fummlertyp. Doch was blieb ihm anderes übrig? Er musste nehmen, was man ihm anbot. Und so stellte er sich in Adlershof vor, bestand die Aufnahmeprüfung und zuckelte danach ein halbes Jahr lang jeden Morgen mit der S-Bahn zur Lehrwerkstatt nach Königs Wusterhausen hinaus. Und jedes Mal, kurz bevor die Bahn ihre Endstation erreicht hatte und hohe Sendemasten ihn grüßten, verließ ihn der Mut. Schon da?
    Die Sendemasten gehörten zum Deutschlandsender und unterhalb der Masten lag sie, die Ausbildungswerkstatt des Deutschen Fernsehfunks. Dort wurde gesägt und gefeilt – »Säge, Feile, Schwanz benutzt der brave Mann stets ganz!« –, gelötet und gelötet und – für Manne Höhepunkt aller Schikanen – schon nach vier Monaten der erste Kabelbaum gebunden.
    Gab er sich Mühe? Ja! Aber nur die erste Zeit. Beim Hammerfeilen! War zwar auch idiotisch, aber da konnte er seine Wut wenigstens in Körperkraft umsetzen. Als dann alle anderen sich freuten, dass der grobe Teil der Ausbildung endlich hinter ihnen lag und es an die etwas diffizileren Arbeiten ging, verlor er die letzte Lust. Er war kein Mechaniker und niemals wollte er einer werden. Wozu drei Lehrjahre vergeuden? Er sagte das seinen Ausbildern, und sie erklärten sich einverstanden damit, dass er die Lehre beendete. Seeler hingegen war entsetzt. »Menschenskind! Einfach hinschmeißen! Man lernt doch erst mal aus. Was man hat, das hat man. Und ein Beruf ist doch schließlich ein Beruf!« Auch Corinna, zu jener Zeit noch mit ihm zusammen, war enttäuscht. »Das wirste später mal bereuen. Mit einem Lehrabschluss in der Tasche ist man doch wenigstens wer.«
    Er hatte es besser gewusst und

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