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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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miteinander, bis Hanne Gottlieb sich wutentbrannt in die Dunkelheit verdrückte und die beiden Zurückgebliebenen, nun erst recht am Boden, in eines der nahe gelegenen Bootshäuser einbrachen. Hier hatten sie im Sommer Kanus gesehen; wäre doch gelacht, wenn sie keines davon flott machen könnten!
    Sie fanden dann auch mehrere aufgebockte Kanus, zerrten und schoben eines davon ins Wasser und paddelten schon kurz darauf wie weiland Winnetou und Old Shatterhand spreeabwärts zur Insel zurück. Und das mitten in der sternenglitzernden, mondhellen Silvesternacht. In einem Achtsitzer. Unter Brücken hindurch. An Feuerwehr und Wasserpolizei, dem hell erleuchteten Kraftwerk Klingenberg und vielen winterfest gemachten Bootsschuppen vorüber. Dazu in der Ferne das nun einsetzende Feuerwerk … Und niemand, der sie bemerkte! Alles Glück der Welt mussten sie in jener Nacht für sich gepachtet haben. – Nein, es war kein Verbrechen, sich ein Kanu auszuleihen, um endlich etwas zu erleben in dieser für sie bisher so trist und trostlos verlaufenen Nacht; es war ein Verbrechen, sich in einer solchen Nacht zu langweilen.
    Kurz vor der Insel zogen sie das Kanu an Land und verbargen es in einem Heuschober.
    Bedenken kamen ihnen erst am Neujahrsnachmittag: Wenn sie nun mit dem Kanu erwischt worden wären? Wer hätte ihnen geglaubt, dass sie es nur ausleihen wollten? Und hatten sie während ihrer nächtlichen Fahrt nicht kurz darüber gesprochen, dass sie es ja mit Steinen beladen versenken könnten, um es später, wenn Gras über die Sache gewachsen war, wieder herauszuholen?
    Sie hatten es nicht getan, aber vielleicht nur, weil sie zu müde dazu waren.

14. Lonesome Rider
    W enn es in Manfred Lenz’ Insulanerjahren unter seinen Erziehern und Lehrern einen gab, der ihn nachhaltig beeindruckte, ja, den er sogar ein wenig verehrte, so war das Wissarionowitsch, jener Lehrer, der trotz seines Spitznamens so gar kein Stalin war und auch kein Seeler, sondern viel eher eine Mischung aus Marx und Brecht, Falstaff und Don Juan.
    Der Name Wissarionowitsch traf aber bald auch rein äußerlich nicht mehr zu. Eines Tages kam er in die Schule, der erst sechsundzwanzigjährige Georg Bachner, und da waren die Stalin-Tolle und der Stalin-Schnäuzer weg und das dichte braune Haar zum widerborstigen Igelschnitt und der Schnäuzer kurz gestutzt. Über die verdutzten Blicke seiner Schüler freute er sich und als Antwort auf ihr Wieso und Weshalb zitierte er Brecht: die Geschichte vom Herrn Keuner, der erbleichte, als man ihm sagte, er habe sich gar nicht verändert.
    Wissarionowitschs Deutschunterricht – ein Fest! Wurde der Faust behandelt, sprang er in die eine Ecke und war Mephisto, in der anderen war er Faust. Er war der Riccault de la Mariniere in der Minna , er gab den tragischen Revoluzzer Fiesco. Wer den Deutschunterricht ansonsten hasste, Wissarionowitschs Vorträgen lauschte er gebannt.
    Nie hatte Wissarionowitsch irgendwelche Aufzeichnungen auf dem Tisch liegen; er hatte seine Dichter, ihre Daten, Romane, Gedichte und Stücke im Kopf, lebte seinen Lehrstoff. Und immer wieder stellte er seine eigene Meinung infrage oder trug ihnen zwei einander entgegengesetzte Standpunkte vor und wollte wissen, welchem sie zuneigten. Ihre Antworten nahm er ernst, prüfte sie gemeinsam mit der Klasse, und wurden sie verworfen, war allen klar, weshalb. Sein einziger Fehler: Blankes Desinteresse, Faulheit oder dümmliche Antworten konnte er nicht ertragen. Das empfand er als Sabotage an seinem Unterricht, dann rastete er aus und schrie so laut, dass die Wände des altehrwürdigen Backsteinbaus erzitterten. Manne erhielt einmal von ihm einen Eintrag ins Klassenbuch, zusammengefasst in einem einzigen Satz ein Lob für gute Leistungen im Aufsatz und ein Tadel für mangelnden Fleiß in Grammatik. Beides empfand er als gerecht und irgendwie als originelle Zusammenstellung.
    Die meisten Lehrer und Lehrerinnen mochten es nicht, wenn unbequeme Fragen gestellt wurden, Wissarionowitsch ermunterte geradezu zur Kritik. Als er während ihres ersten Kartoffeleinsatzes von dem arbeitsunlustigen Benno Kirsch gefragt wurde, wozu ein solcher Einsatz denn überhaupt nötig sei, die Schüler im Westen müssten doch auch nicht in den Morast hinaus, da hielt er ihnen einen langen Vortrag über patriotische Erziehung. Alles mit sehr ernstem Gesicht. Parteifunktionäre in Defa -Filmen redeten so. Als der dreckstarrende Benno daraufhin wütend entgegnete, dass das doch nichts als

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