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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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das, wozu er sich macht« und »Wir wollen die Freiheit um der Freiheit willen«. Ein paar Monate lang ließ Manne sich beeindrucken, dann erschien ihm der ganze Existenzialistenkram als heiße Luft. Er brauchte was anderes. Aber was?
    Seeler beobachtete ihn und konnte mit seiner Entwicklung nicht zufrieden sein. Er suchte einen Schuldigen – und fand ihn. In Ete Kern! Seit er Ete auf ihre gemeinsamen Bitten hin ins Heim geholt hatte, war Seeler immer mehr zu der Überzeugung gelangt, damit einen Fehler begangen zu haben. Die enge Freundschaft der beiden, so sein Verdacht, verhindere ihr Einfügen in die Gemeinschaft. Erst hatte Ete das Zweierzimmer räumen müssen, damit der Westflüchtling Erwin Pietras dort einziehen konnte, nach einem weiteren Jahr entschied Seeler: »Einer von euch beiden muss gehen. Ihr beeinflusst euch gegenseitig zum Negativen.« Und er verfügte, dass Erich Kern zu gehen hatte, da Manfred Lenz seiner Meinung nach derjenige sei, um den es sich mehr zu kämpfen lohne.
    Eine Klassifizierung, die Manne wütend machte und gegen die er ankämpfte. Wurde denn nicht immer wieder gesagt, dass alle Menschen gleich seien? Wie konnte der Seeler da so eine Bewertung vornehmen? Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, was? Unzählige Male diskutierte er mit Seeler, gab Versprechungen ab und drohte mit dem völligen Untergang seinerseits, falls Etes Rausschmiss nicht rückgängig gemacht würde. Sogar die Möglichkeit einer Flucht in den Westen ließ er durchblicken.
    Seeler horchte auf, nahm ihm diese Drohung aber aus irgendeinem Grund nicht ab. So zog Ete eines Tages mal wieder um, nach Pankow, ins nächste Heim, ans andere Ende der Stadt, und Manne zeigte Seeler fortan seine ganze Verachtung. Er warf alles hin – Bibliothek, Nachhilfeunterricht, Heimrat, Wandzeitung –, fühlte sich nur noch als Gast auf der Insel, kam und ging, wann er wollte, zählte die Tage bis zu seiner Volljährigkeit.
    Kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag schlief er dann zum ersten Mal mit einem Mädchen. Eddies Cousine. Keine Liebe; sie gefiel ihm nicht mal besonders. Es gehörte nur irgendwie mit hinein in diese Zeit, musste einfach sein mit fast achtzehn. Danach hatte er furchtbare Angst, diese Evi könnte schwanger von ihm sein. An dem Tag, an dem er erfuhr, dass sie nicht schwanger war, wäre er vor Glück am liebsten von der Abteibrücke gesprungen.
    Den Geburtstag feierte er dann so heftig, als hätte er im Lotto gewonnen – und provozierte damit seinen Rausschmiss, obwohl Seeler Robert doch zugesichert hatte, dass er bis zu dessen Heimkehr aus Korea im Heim bleiben durfte.
    In Alberts, des ehemaligen Meisterboxers Kneipe in Oberspree hatte Manne sie ausgehalten, die Jungen von der Insel und die Mädchen aus dem Mädchenwohnheim, die mit ihm feiern wollten, hatte getrunken und getanzt und angegeben wie ein Wald voller Affen, bis es plötzlich über ihn kam und das Unglück seinen Lauf nahm. Heimlich hatte er gezahlt und war einfach abgehauen von seiner Fete, war in die S-Bahn gestiegen und, weil er so berauscht war, auf seiner warmen, gemütlichen Holzbank eingeschlafen und erst in Bernau wieder aufgewacht. Weit außerhalb der Stadt. Und die letzte S-Bahn in Richtung Innenstadt war auch schon weg. Wütend auf sich selbst, aber nun wieder völlig klar im Kopf, wollte er auf dem kalten, zugigen, finsteren Bahnsteig warten, bis er mit der ersten Bahn zurückfahren konnte. Doch der Bahnhof wurde über Nacht geschlossen, und die Bahnpolizisten, die da ihre Runde drehten, befahlen ihm, den Bahnsteig zu verlassen. Das aber durfte er nicht, weil Albert ihm, als er die Rechnung bezahlte, nur das Geld für die eine Fahrkarte gelassen hatte. Und wie sollte er denn am Morgen ohne gültige Fahrkarte am Kontrollhäuschen vorbeikommen?
    In seiner Verzweiflung tat er, als wollte er den Bahnsteig verlassen, wartete aber nur darauf, dass die beiden Polizisten ihren Inspektionsgang fortsetzten, und versteckte sich hinter dem Stationsvorsteherhäuschen. Die beiden mussten so etwas schon geahnt haben, ein nicht sehr lustiges Versteckspiel begann, bis sie ihn endlich gefunden hatten und an den Armen vom Bahnsteig führten. Er verbrachte die Nacht in der Wartehalle und musste am frühen Morgen vor dem Fahrkartenschalter Bitte-Bitte machen. Zu seiner großen Erleichterung jedoch war die noch morgenmüde Frau hinter dem Schalter sehr nett und schenkte ihm die fünfzig Pfennig für die Heimfahrt.
    Wie hatte er sich über diese

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