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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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gesagt haben, was sie wissen wollten, dieser ehemals so clevere Moritz Breuning. Seine Parteifreunde wird er denunziert und ohne Bedenken auch seine Geschäftspartner angeschwärzt haben, so sehr bedrückte ihn die Angst, nicht mehr hier rauszukommen. Viel helfen aber würde ihm das nicht; seine krummen Geschäfte konnte er damit nicht wieder geradebiegen. Das wusste er, das setzte ihm zu, das verfolgte ihn seit seiner Verhaftung; das hatte ihn zu diesem erst vierundsechzigjährigen, zittrigen Alten gemacht. Außerdem hatte er ihm ganz sicher nicht alles gesagt. Solche Geschäfte waren ohne Steuerhinterziehung nicht möglich; nur langjähriger Betrug am Staat hatte diesen Reichtum schaffen können. Wie aber sollte so einer in einer sozialistischen Republik resozialisiert werden? Er hatte ja immer noch nicht begriffen, welch miese Geschäfte er da betrieben hatte, hielt seine Schummelschiebungen für leicht entschuldbare Kavaliersdelikte, war stolz auf seine Pfiffigkeit, kapierte nicht, dass nach DDR-Gesetzen auch er ein politischer, eben ein wirtschaftspolitischer Verbrecher war. Sollte er, Lenz, mit diesem Raffke Mitleid haben? Hannah und er hatten für ihren Kühlschrank über ein Jahr gespart; was, wenn ihnen so ein Neckermann -Verschnitt einen auf neu getrimmten Gebrauchten verkauft hätte? Hätten sie dann nur gelacht und »tüchtiges Kerlchen« gesagt? Dieser Breuning war ein Betrüger, der saß zu Recht. Die Stasi hatte ihn mit einem Goldhamster zusammengelegt, mit einem, für den noch immer Nachkriegszeit war; Schwarzmarktsaison! Ob da eine Absicht dahinter steckte? Sehen Sie, Lenz, mit solchem Pack haben Sie sich gemein gemacht? Ist es zu viel verlangt, wenn wir Sie bitten, uns im Kampf gegen solche kapitalistischen Kröten beizustehen?
    »Was meinen Sie denn, wie viel ich kriegen werde?« Ein lauernder Blick in Breunings Augen.
    »Keine Ahnung! Kenn mich da nicht aus.«
    »Es ist ja nur, weil ich nicht mehr der Jüngste bin. Stecken se mich in den Steinbruch, geh ich zugrunde.«
    »Sie kommen doch nicht in den Steinbruch. Was soll man denn dort mit Ihnen?« Ach, Lenz! Der Kerl ist dir zum Kotzen zuwider, du aber tröstest ihn auch noch. »Ihnen kann doch gar nichts groß passieren. Sie gehen nach der Verhandlung nach Hause. Selbst wenn Sie drei Jahre kriegen, erlässt man Ihnen den Rest zur Bewährung. Sie haben die Hälfte dann ja schon hinter sich.«
    »Meinen Sie?« Genau das hatte er hören wollen, der Breuning. Erleichtert holte er sich einen zweiten Apfel.
    »Ich werd mal meinen Abendspaziergang machen.« Lenz hielt den Anblick des zufrieden an seinem Apfel nagenden Alten nicht länger aus, zügig begann er vor den vier Pritschen auf und ab zu wandern, von der Tür bis zum Klobecken und zurück. Eine ungewohnte Entfernung, dreizehn statt acht Schritte. Sah er dabei mal kurz zu Breuning hin, schüttelte er innerlich den Kopf: Verkauft rasierte Kakteen als Gurken, dieser Hinterhofkapitalist! Hält sich für einen großen Onkel, nur weil er ein Meister im Bescheißen ist! Lässt sich von ihm für ein Stückchen Schokolade trösten und hält das für ein seriöses Geschäft … Wie sollte er diese Type nur über längere Zeit hinweg ertragen?
    Erst am Abend, als sie sich gegenseitig gute Nacht gewünscht und auf ihre Pritschen zurückgezogen hatten, begriff Lenz, was wirklich geschehen war: Ein einziger, ihm höchst unsympathischer Mensch hatte es fertig gebracht, ihn dermaßen zu beschäftigen, dass er seine eigenen Sorgen für ein paar Stunden vergaß. Das hatte kein Buch, keine Zeitung geschafft; war das der tiefere Sinn der Gemeinschaftszelle?
    Zwei Wochen blieben Lenz und Breuning miteinander allein; zwei Wochen, die für Lenz schwerer auszuhalten waren als die drei Monate Einzelhaft, die hinter ihm lagen. Ihn störte nicht nur diese Ich-Bezogenheit des Moritz Breuning – das ständige Lamentieren und Wehklagen über die Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren war, seine ewige Angst vor dem Steinbruch, das Gejammer um die Zukunftsaussichten seiner nun ebenfalls bald vorbestraften Tochter, der allseits beliebten, tüchtigen, klugen und bildhübschen Prinzessin Helga –, schlimm waren vor allem die vielen unausweichlichen Intimitäten der Gemeinschaftshaft. Breunings Schmatzen beim Essen – hatte diesem Mann denn nie jemand beigebracht, wie man isst? Die ewig verschmierte Lesebrille – weshalb putzte er die nie? Der schmuddlige weinrote Pulli – weshalb gab er den seiner Frau nicht mal mit, wenn er

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