Krokodil im Nacken
bewahrte? Ein Jahr Einzelhaft, das ist viel für einen alten Mann, der sicher nie zuvor in seinem Leben im Gefängnis war.
»Bin ja nicht wirklich politischer Häftling«, sagte er. »Wollte nur umziehen. Dummerweise nicht nach Frankfurt an der Oder, sondern nach Frankfurt am Main.«
Breuning, nachdenklich seinen Apfel betrachtend, nickte: »Ja, ja, für manch einen ist’s schwer … Ich persönlich war aber immer sehr zufrieden, mir hat’s an nichts gemangelt.«
Vermutete er, dass sie abgehört wurden, wollte er vor denen, die ihnen vielleicht zuhörten, ein Treuebekenntnis ablegen? Lenz schoss es durch den Kopf, dass dieser Breuning vielleicht wissen könnte, wo sie sich hier befanden. Vorsichtig fragte er.
»In Hohenschönhausen«, lautete die verdutzte Antwort. »Im Zentralen Untersuchungsgefängnis an der Genslerstraße. Wussten Sie das denn nicht?«
Lenz schüttelte den Kopf.
»Und zum Sprecher bringen se uns jedes Mal in die Magdalenenstraße. Das ist in Lichtenberg, wissen Sie? Da dürfen wir unsere Familienangehörigen sehen.«
In Hohenschönhausen hatten Schulfreunde von Lenz Fußball gespielt, bei Dynamo Hohenschönhausen, dem Polizeisportverein. Später hatte er medizinische Materialien und Instrumente in die Normannenstraße geliefert, die Stasi-Hauptzentrale nur ein paar Straßen weiter. Tausend Kontrollen wegen ein paar Röntgenfilmen oder Spritzenbestecken hatte er da jedes Mal zu überstehen gehabt. Zu dieser Zeit war er auch öfter an dem alten Knast in der Magdalenenstraße vorübergekommen; hätte er damals schon gewusst, dass man ihn dort einmal für nichts und wieder nichts mit einem Gefangenentransporter hinkutschieren würde, hätte er sich diese Perle des Strafvollzugs sicher genauer angesehen …
»Möchten Sie vielleicht ein Stückchen Schokolade?«, fragte Breuning.
»Haben Sie denn eins?«
Da blitzten sie wieder, die Goldzähne. »Moritz Breuning hat alles!« Er ging an das Schränkchen über seiner Pritsche, werkelte darin herum und brachte Lenz ein Stückchen in Silberpapier gewickelte Schokolade. Es war wahrhaftig nur ein Stückchen, kein Riegel. »Ich muss einteilen«, entschuldigte er sich. »So oft darf meine Frau nicht kommen. Und das Weihnachtspaket ist auch noch nicht da.«
Lenz bedankte sich und Breuning rückte ein wenig näher an ihn heran. Das vorhin sei kein Scherz gewesen, seine Verhaftung beruhe wirklich nur auf einer Art Irrtum; Auslegungssache das Ganze.
»Was haben Sie denn getan?«
Er druckste ein Weilchen herum, bis er schließlich leise fragte: »Haben Sie meinen Namen denn noch nie gehört?«
»Breuning? – Nein! Woher denn?«
Das Gesicht des Alten veränderte sich. Eitelkeit war nun darin zu entdecken, ein hohes Maß an Selbstbewusstsein, Stolz und auch ein wenig Enttäuschung darüber, dass Lenz mit seinem Namen nichts anzufangen wusste. Man habe ihn doch immer den Neckermann von Fürstenwalde genannt – »Sie wissen schon: Neckermann macht’s möglich « –, langjähriges Mitglied bei den Liberalen sei er gewesen, mit dem Volkskammerpräsidenten Diekmann auf Du und Du habe er gestanden, Skat hätten sie zusammen gespielt.
»Und weshalb hat man Sie verhaftet?«
Eine Frage, die Breuning sofort wieder das Wasser in die Augen trieb. Mit der Tochter zusammen habe man ihn festgenommen, flüsterte er Lenz zu. Dabei habe die Helga doch nur getan, was er von ihr verlangte. Nur sei sie eben immer sehr tüchtig gewesen, sehr, sehr tüchtig, viel tüchtiger als alle anderen.
Nach einem Jahr Einzelhaft endlich mal einer, der Moritz Breuning nicht verhörte und hoffentlich voller Mitleid war, wenn er ihm seine Version des Vorgefallenen schilderte. Auf die Idee, dass man ihm einen Spitzel, einen Wiedergutmacher, auf die Zelle gelegt haben könnte, kam er erst gar nicht. So erzählte er Lenz gleich an diesem ersten Abend seine Geschichte; mal stolz lächelnd, wenn er über seine Erfolge berichtete, mal zerknirscht und reumütig dreinblickend, wenn er bedachte, wie alles zu Ende ging.
Dieses Ende fing damit an, dass eines Sonntagvormittags unerwarteter Besuch vor der Tür der Breuning’schen Villa stand: zwei Herren in Lederjacken mit einem Hausdurchsuchungsbefehl in der Hand. Im Badezimmer fanden sie Schmuck und Gold im Wert von zweihunderttausend Ostmark, dazu etwa fünfzigtausend Westmark und zwanzigtausend US-Dollar in bar. Alles eingemauert in der Erden tief, unter teuren Fliesen verborgen, aber leider nicht ganz und gar unauffindbar. »Dachte mir
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