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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Vertrauen gewinnen zu lassen, damit er ihm ein paar westliche Kontakte verriet, die den Spionagevorwurf erhärteten?
    Einmal unterhielten sie sich über die vielen Mitläufer, die eine Diktatur erst möglich machten.
    Lenz: »Es gibt Typen, die kannste vor jeden Karren spannen, sie ziehen!«
    Coswig: »Gefährlicher sind die, die den Karren lenken.«
    Lenz: »Wenn niemand zieht, sind die am Steuer machtlos.«
    Coswig: »Aber wo landet der Karren, wenn Leute lenken, die nichts davon verstehen?«
    Sprach so einer, der zu Frau und Kind nach Potsdam zurückwollte, also eine neue Chance brauchte? Lenz beschloss, dieses Gespräch lieber zu beenden.
    Doch alles Misstrauen verhinderte nicht, dass zwischen Lenz und Coswig so etwas wie eine Zellenkameradschaft entstand. Sie teilten sich ihre Tabakrationen und das Salz, das Coswig vom Bandwurm erbettelt hatte, und wenn Coswig ein Päckchen von seiner Frau oder seinen Eltern bekam, war Lenz wie selbstverständlich daran beteiligt. Sie diskutierten über Literatur, Kunst und Musik, und Lenz ließ sich in Kompositionslehre unterrichten. Sie lachten gern und jagten während der Freistunde miteinander im Kreis herum; wenn sie lasen – sie hatten nun insgesamt sechs Bücher zur Verfügung –, deklamierten sie laut die interessantesten Stellen.
    Breuning kam nur noch am Rande vor.
    Für Lenz waren sie so etwas wie eine geistige Erholung, diese zehn Tage mit Coswig. Doch es sollte noch besser kommen – und noch verwirrender. Kurz vor Weihnachten, Coswig und Breuning waren zur Vernehmung, wurde noch ein vierter Häftling auf die 327 verlegt: Hans-Joachim Hahne, Journalist, ehemals Redakteur bei der FDJ-Zeitschrift Junge Welt; ein langer Kerl mit schütterem, trotz seiner Jugend bereits einer Stirnglatze weichendem Haar und pfiffigen braunen Augen. Hahne warf seine Knastutensilien auf die einzige noch freie Pritsche und stellte sich Lenz höflich vor. Seine erste Frage: »Paragraph 213?«
    Lenz nickte nur.
    »Und? Schon einen Anwalt?«
    »Seit ein paar Wochen.«
    »Wie heißt er?«
    »Dr. Vogel.«
    Es war offensichtlich, dass dieser Hahne gar keinen anderen Namen erwartet hatte. Zufrieden grinsend bot er Lenz eine Zigarette an – Marke Juwel, keine Selbstgedrehte – und klärte ihn mit genießerischer Miene darüber auf, dass er vom lieben Gott selbst verteidigt wurde. »Bist ein Glückspilz, Mann! Dein Dr. Vogel hat den Schlüssel zur Tür in der Mauer in der Hosentasche. Keiner kann dir sagen, wie lange du sitzen musst, aber eines steht fest: Wirst du durch Vogel vertreten, sitzt du irgendwann in dem berühmten Bus in Richtung Westen.«
    Das kam so locker daher, dass Lenz nur verdattert schwieg. Hahne blickte ihn ein Weilchen nachdenklich an, dann fragte er wie ein Arzt, der einer Krankheit auf die Spur kommen wollte: »Wer hat denn den Vogel beauftragt, sich um deinen Fall zu kümmern?«
    »Meine Schwägerin.«
    »Von drüben?«
    »Ja.«
    »Dann ist die Sache übers Bundesinnenministerium gelaufen. Oder über das für gesamtdeutsche Fragen. Die haben den Vogel beauftragt, die bezahlen ihn.«
    Was für ein seltsamer neuer Zellengenosse! Kam hereingeplatzt, wusste nicht, mit wem er es zu tun hatte, plapperte aber gleich los, als hätten sie sich schon im Kindergarten kennen gelernt. »Kannst du auch Handlesen?«
    Hahne verteilte seine Utensilien in der Zelle. »Brauch deine Hand nicht. Weiß, was ich weiß. Irgendwann trifft sich dein Dr. Vogel mit einem WestBerliner Anwalt namens Stange, sie handeln die Preise und sonstigen Freikaufmodalitäten aus und dann geht’s ab nach Karl-Marx-Stadt, ins Stasi-Gefängnis auf dem Kaßberg. Dort bleibste ein paar Tage, dann geht’s im Ostbus an die Grenze und die frisch gebackenen Herren und Damen Bundesbürger dürfen in den Westbus umsteigen. Richtung Gießen. Ins Notaufnahmelager.«
    Das klang nicht nach Phantasiegeschichte. Lenz spürte, wie die Erregung in ihm wuchs. »Und woher weißt du das alles?«
    »Erzähl ich dir später.«
    »Bist du auch einer von Dr. Vogels Mandanten?«
    »Nee! Mich lassen die so schnell nicht rüber. Da muss ich erst noch stärkere Geschütze auffahren.«
    Sollte er weiterfragen? Warum sie ihn so schnell nicht rüberlassen würden, was für stärkere Geschütze er auffahren wollte? Lenz beschloss abzuwarten. Sonst interpretierte dieser Hajo Hahne seine Neugier noch falsch und sagte gar nichts mehr.
    Er musste sich nicht lange gedulden. Kaum hatte Hahne seinen Einzug beendet, saßen sie erneut einander

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