Krokodil im Nacken
gegenüber, rauchten eine von Lenz’ Selbstgedrehten, und der lange Journalist beteuerte Lenz, ihm keinen Mist erzählt zu haben. Mit Dr. Vogel habe er das große Los gezogen. Der halbe Knast hier werde von Vogel verteidigt. In früheren Zeiten habe es zwei, drei Rechtsanwälte gegeben, die sich um die Freikäufe der politischen Gefangenen kümmerten, jetzt besitze Dr. Vogel so eine Art Monopol für diese Geschäfte und manage auch den Austausch der Spione an der Glienicker Brücke. Doch natürlich würden solche Menschenschiebereien nicht an die große Glocke gehängt. »Hat ja keiner ein Interesse daran, dass das bekannt wird. Die im Westen nicht und unsere Funktionärsclique schon gar nicht. Tatsache aber ist, dass die auf diese Weise erzielten DM-Beträge im Wirtschaftsplan längst als feste Haushaltsposten einkalkuliert sind.« Er lachte spitzbübisch. »Biste auf de Liste, schwippste aus de Kiste; wenn nicht heute, dann eben morgen. Aber was wohl die westdeutschen Steuerzahler zu dieser Art Unterstützung einer menschenverachtenden Diktatur sagen würden? Abstimmen lassen würde ich sie darüber lieber nicht.«
Vorsichtig versuchte Lenz es noch einmal. »Solange du mir nicht sagst, woher du dein Wissen hast, glaube ich dir kein Wort.«
»Kann ich verstehen. Aber lass uns erst mal ein bisschen näher miteinander bekannt werden, dann weiß ich, wie viel ich dir sagen darf.« Sagte es und begann, als wollte er Lenz damit aber auffordern, es ihm gleichzutun, von sich zu erzählen. Seit anderthalb Jahren sitze er nun schon hier ein. Erst ein halbes Jahr Einzelhaft, danach immer wieder mit anderen Gefangenen zusammen. Inzwischen hätten »die Schweine« ihn verurteilt: fünf Jahre und sechs Monate für illegalen Grenzübertritt, staatsfeindliche Verbindungsaufnahme und Spionage.
Worte, die Lenz gleich wieder misstrauisch machten. Das waren ja Punkt für Punkt die drei Vergehen, die auch Hannah und ihm angelastet wurden. Ein Zufall – oder der Versuch, ihm einen Spitzel auf den Hals zu hetzen? Vielleicht hatte er sich in Coswig ja getäuscht, vielleicht war dieser Dr. Allwissend mit der Halbglatze der Wiedergutmacher. »Du sprichst eine deutliche Sprache. Was, wenn wir abgehört werden – oder ich ein Spitzel bin?«
»Mir doch egal! Was ich von denen halte, hab ich ihnen längst gesagt. Von mir aus können se an der Decke ’ne Kamera einbauen und mir beim Onanieren zukucken.« Eine Vorstellung, die Hahne erheiterte. Gleich darauf wurde er wieder ernst: »Nach dem, was ich hier erlebt habe, hasse ich diese Gangster dermaßen, dass ich auf nichts mehr Rücksicht nehme.« Und er erzählte Lenz von den drei Zähnen, die man ihm im Lauf dieser anderthalb Jahre gezogen hatte, anstatt zu zahnerhaltenen Maßnahmen zu greifen, und wie man ihn, nachdem er deshalb durchgedreht war, in eine Gummidunkelzelle gesteckt hatte. »Nichts drin in diesem Loch, nur Gummiwände und schwarze Finsternis. Du kannst schreien, heulen, toben, sie holen dich da nicht raus.« Drei Tage, so Hahne, hätten sie ihn darin behalten; als sie ihn wieder herausholten, habe er nicht mehr gewusst, ob er Männchen oder Weibchen war. Andere Gefangene hätten von Schlägen, Kälte- und Stehzellen berichtet und einer gar von einer Scheinhinrichtung. »Das musste dir mal vorstellen, den haben se mit ihren Knarren in den Händen nachts aus seiner Einzelzelle geholt und mit ’ner Binde vor den Augen in eine Freizelle geführt. Der hat sich vor Angst in die Hose geschissen, dachte, jetzt ist’s aus …«
»Na, na!« Ungläubig schüttelte Lenz den Kopf. »Da hatte er wohl nur was Böses geträumt.«
»Hab ich anfangs auch gedacht.« Hahne sog an seiner Zigarette, als wollte er sie mit einem Zug zum Erlöschen bringen. »So was darf’s doch nicht geben – in unserer DDR doch nicht! Gibt’s aber doch! Hab schließlich mehrere Wochen mit dem Mann auf einer Zelle gelegen und mitbekommen, wie der sich seither nachts fürchtete … Das war keine Schauspielerei! Den hatten se mürbe gemacht; alles, was sie hören wollten, hat er danach gestanden.«
»Und wieso ist unsereinem so was nicht passiert?«
»Weil unsereins zu vernünftig ist, um ewig nur auf stur zu stellen. Oder hast du etwa nicht bald ›kooperiert‹?«
Lenz verstummte, und Hahne sprang auf, um ein Weilchen vor ihm auf und ab zu wandern. »Spionage haben se mir angehängt. Und warum? Nur weil mein Stiefbruder, mit dem ich seit Jahren kein Wort mehr rede, auch so eine Stasi-Ratte ist. Aus
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