Krokodil im Nacken
Mitgefangenen, die bereits alles gestanden haben?«
»Einschätzungen und Charakterbilder soll er liefern. Unter jedem Dach ein Ach! Sie wollen alles über dein Ach wissen, verstehst du?«
Wer ist wer! Lenz wusste Bescheid, gab aber nicht zu, dass er Coswig auch schon verdächtigt hatte. »Und dich, du Stiefbruder eines Stasi-Mannes«, fragte er nur, »dich haben sie nicht anwerben wollen?«
»Sie haben es versucht. Bei fast jedem, der nicht zu dumm dafür ist, versuchen sie es. Und da wird so manch ein Vorbild an Charakterfestigkeit eben schwach, wenn sie ihm dafür eine frühere Heimkehr zu Mutti anbieten.«
Lenz grinste. »Und was denkst du – bin ich schwach geworden?«
»Nein, glaub ich nicht.«
Eine Art Kompliment. Aber steckte da vielleicht eine Absicht dahinter? »Und Hilmar?«
»Der widerspricht sich andauernd und übertreibt maßlos. Dadurch fällt er auf.«
»Und du?«, fragte Lenz. »Übertreibst du nicht?« Er wollte das ganz harmlos fragen, der Ernst seiner Worte aber schimmerte durch. Schließlich klangen Hahnes Geschichten nicht weniger phantastisch als Coswigs. Außerdem waren die Hoffnungen, die Hahne ihm jeden Tag machte, viel eher dazu geeignet, ihm ein falsches Wort zu entlocken, als Coswigs politische Statements.
Hahne grinste. »Tja! So geht’s nun mal zu bei uns: Keiner traut dem anderen – und das erleichtert den Schweinen, die uns gekascht haben, ihre Arbeit kolossal!«
Coswig schien zu ahnen, dass hinter seinem Rücken über ihn gesprochen wurde, und schob die Schuld daran Hahne zu. Die Animositäten zwischen den beiden wuchsen von Tag zu Tag und schlugen, ging es um Lenz’ Hoffnung auf Ausreise in den Westen, bald in offene Aggression um.
Hahne: »Mach dir keine Sorgen, Manne! Das mit den Freikäufen klappte schon unter Adenauer. Auch die Kirchen stecken in dem Geschäft mit drin. Die waren es ja sogar, die die Sache ankurbelten: Menschen gegen Stahl, Kohle, Schmierkäse und Bananen. Inzwischen läuft das als reine Winter- und Sommerschlussaktion. Hunderte werden jedes Jahr in den Westen verscheuert; stimmt der Preis, klappt die Humanität!«
Coswig: »Und wer legt die Preise fest? Honecker?«
Hahne erklärte ihm, dass der Ausbildungsstand der menschlichen Ware maßgebend sei. »Ihr kriegt eine auf unsere Kosten ausgebildete Fachkraft, also bitte steuert ein paar Talerchen dazu bei! Du, Hilmar, bist Lehrer. Vielleicht werden für dich vierzigtausend D-Mark angesetzt. Manne mit seinem Studium wird kaum billiger sein, ein Arzt dafür sicher das Doppelte oder noch mehr kosten. Meine Parteihochschule bringt da sicher nicht viel, aber immerhin, ich bin Facharbeiter, die werden sie auch nicht gratis abgeben. Und vielleicht gibt’s bei solchen wie mir noch ein paar kostenlose Kriminelle dazu. Bin ja nicht eingebildet. So was nennt man dann Verkäufe im Paket.«
Er kicherte.
»Ammenmärchen!«, begehrte Coswig auf. »So was … das wäre ja die allergrößte Sauerei.«
»Hilmar, was dir fehlt ist Phantasie! Für Devisen, die ihren abgluckernden Staatsdampfer noch ein paar Jährchen über Wasser halten, tanzen unsere staatstragenden Persönlichkeiten doch nackt auf der Brücke, das ist nun mal Fakt.«
»Rede nur so weiter, dann behalten se dich hier, bis du alt und grau bist.«
»Na und? Dann ergraue ich eben im kleinen Knast und du im großen. Die Klaviere werden sie nicht vor dir verstecken, Lehrer aber wirst du nimmermehr. Ein abgehalfterter, müder Barpianist wirst du werden, wenn du nicht doch noch die Kurve kriegst und deine Ausreise beantragst, eine Art Spelunken-Cossie.«
Nicht viel und die beiden wären mit Fäusten aufeinander losgegangen. Es war immer Lenz, der besänftigend eingriff; Breuning verfolgte das Ganze nur wie eine absurde Theatervorstellung.
Lenz verstand Coswig. Entsprach, was Hahne sagte, der Wahrheit, war das eine Katastrophe; jedenfalls für den Sozialismus. Irgendwie aber steckte in Hahnes Worten sehr viel DDR-Logik: Wir, der erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden, haben auf Kosten unserer Menschen Manfred Lenz ausgebildet. Er kann lesen, schreiben und rechnen und noch vieles mehr. Jetzt will dieser Manfred Lenz zu euch, das heißt, ihr kriegt einen Menschen, der euren Nutzen mehren wird, dessen Ausbildung euch aber nichts kostete. Weshalb sollen wir Sozialisten zulassen, dass ihr Kapitalisten uns dermaßen schädigt? So habt ihr uns ja schon mal fertig machen wollen, damals, als wir euch unseren antifaschistischen Schutzwall
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