Krokodil im Nacken
anderen Frauen hätte er ihre leisen und – wenn sie unsicher war – leicht schwankenden Schritte herausgehört. Er hustete laut, ihre Schritte wurden langsamer, doch sie antwortete nicht.
Nervös zählte er die Sekunden mit – und nach etwa acht Minuten wurde Hannah zurückgebracht. Wollte dieser Dr. Wundervogel sie sich nur mal ankucken?
Kaum war Hannah eingeschlossen, näherten die Schritte sich seiner Tür. Ein sommersprossiger Unteroffizier winkte ihn heraus. Zügig ging es über den eisernen Laufsteg in ein dunkles, graugrün gestrichenes Treppenhaus. Ein Stockwerk höher, in einem Flur mit mehreren Holztüren, musste Lenz sich neben einer der Türen aufstellen. Der Sommersprossige klopfte, drinnen rief eine markante Stimme: »Ja, bitte!«
Ein karg eingerichteter Raum; außer einem alten Schreibtisch, zwei Stühlen und einem offensichtlich ausgemusterten Aktenschrank war er leer. An den Wänden kein Bild, nicht mal ein Kalender, an der Decke spärliches Licht aus einer verstaubten Neonröhre. Hinter dem Schreibtisch ein vergittertes Fenster und ein gut gekleideter, nach Rasierwasser duftender, kräftiger, dunkelhaariger Mann, der auf Lenz zutrat und ihm die Hand reichte. »Herr Lenz, ja? Schönen guten Tag! Ich bin Dr. Starkulla vom Büro Dr. Vogel. Bitte, setzen Sie sich doch.« Er nahm hinter dem Schreibtisch Platz, Lenz setzte sich auf den Stuhl davor, der Unteroffizier verließ den Raum.
»Sie haben uns mit der Vertretung Ihrer Interessen beauftragt, Herr Lenz. Gibt es irgendwelche Fragen, die wir Ihnen beantworten können?«
Ein freundliches, sehr sympathisches, vielleicht ein wenig zu glattes Gesicht, eine große, kräftige Hand, die Lenz eine bereits geöffnete, aber noch volle Schachtel Duett hinhielt.
Lenz nahm eine der Zigaretten und ließ sich Feuer geben. »Meine Frau? War sie …«
Dr. Starkulla nickte beruhigend. »Mit Ihrer Frau habe ich soeben gesprochen. Es geht ihr gut, sie lässt Sie grüßen.«
»Unsere Kinder …?«
»Ihre Kinder sind in Kinderheimen. Leider ist es uns noch immer nicht gelungen, sie gemeinsam in einem Heim unterzubringen. Aber wir arbeiten dran.« Ein zuversichtliches Nicken. »Den Umständen entsprechend geht es ihnen gut.«
Den Umständen entsprechend ging es auch Verstorbenen gut. Doch wozu hier und jetzt über die Umstände sprechen … »Meine Schwägerin Franziska …?«
»… ist schon lange wieder zu Hause. In diesem Fall erübrigen sich alle Sorgen.«
Lenz verstummte. So hatte er sich das erste Gespräch mit seinem Rechtsanwalt nicht vorgestellt. Eine Berühmtheit, die keine Zeit für ihre Mandanten hatte; eine Vertretung aus dem Büro der Berühmtheit, die ganz offensichtlich auch keine Zeit hatte. Weshalb sonst beantwortete dieser Dr. Starkulla alle Fragen, bevor er sie gestellt hatte?
»Sie wissen, dass meine Frau und ich mit unseren Kindern nach wie vor zur Familie in Frankfurt am Main ausreisen wollen?«
Da zwinkerte er ihm plötzlich zu, dieser nette Dr. Starkulla, zeigte auf seine Ohren und blickte sich aufmerksam im Raum um, fuhr dabei aber in demselben ruhigen Tonfall fort: »Wir wissen Bescheid. Ihre Schwägerin hat die Familienzusammenführung beantragt, und wir sind beauftragt, uns auch darum zu kümmern. Ob diesem Antrag stattgegeben wird, wissen wir natürlich nicht. Wir werden aber alles tun, um Ihrem Wunsch zu entsprechen.« Sagte es und nickte dabei, als wollte er Lenz zu verstehen geben, dass er so reden müsse, in Wahrheit aber guter Hoffnung sei. »Auf jeden Fall müssen wir die Verhandlung abwarten. Da kommen wir nicht drum herum.«
Wurden also auch die Gespräche zwischen den Rechtsanwälten und ihren Mandanten abgehört, war sogar dieses alte Gemäuer wanzenverseucht? »Mit welchem Strafmaß müssen wir denn rechnen?«
Achselzucken. »Da haben wir die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht. Auf jeden Fall können Sie bei guter Führung nach der Hälfte der Zeit entlassen werden.«
Lenz blickte sein Gegenüber nur fragend an. War das schon die ganze Antwort?
Er erntete ein verschwörerisches Lächeln. »Sie müssen Geduld haben.«
Es war deutlich, in Wahrheit hatte Dr. Starkulla sagen wollen: »Das Strafmaß – nun ja, eine gewisse Rolle spielt es schon, aber ganz so wichtig nehmen dürfen Sie es nicht. Vielleicht sind Sie auch schon vor der Hälfte der Zeit wieder draußen.«
Lenz rauchte hastiger. Was sollte er denn noch fragen? Was hatte es für einen Zweck, mit diesem Dr. Starkulla zu reden, wenn der nicht deutlich
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