Krokodil im Nacken
entgegensetzen mussten. Der hat auch gekostet und kostet immer noch. Nein, wer den Lenz will, muss für ihn bezahlen!
Wollte er Coswig noch mehr reizen, plauderte Hahne ein bisschen aus dem Nähkästchen der DDR-Prominenz, zu der er zwar nie gehört, die er aber doch sehr gut kennen gelernt hatte während seiner Arbeit für die Junge Welt . Von einem »Arbeitererholungsheim« unweit Berlins berichtete er, das in Wahrheit nur für »Parteiarbeiter« gedacht war. Weshalb man es, als sich wirklich mal Arbeiter dort erholen wollten, schnell in »Gästehaus« umbenannt hatte. Die wirklichen Arbeiter sollten nicht den Golfplatz, das luxuriöse Schwimmbad und die Reitställe sehen, die sich die Parteiarbeiter dort hatten bauen lassen; sollten nicht mitbekommen, wie Kaviar, Champagner und ausgesucht hübsche FDJlerinnen den Parteiarbeitern ihre spärlich bemessene Freizeit verschönten. »Arbeiter-und-Bauern-Staat? Dass ich nicht lache! Der reine Feudalsozialismus ist das. Elefantenarsch in Dosen würden sie fressen, wenn’s den irgendwo zu kaufen gäbe.«
Hahne über die Moral der Funktionäre: »Die sind dermaßen mit edlen Vorsätzen angefüllt, dass sie vor lauter gutem Gewissen schon gar nicht mehr laufen können. Doch wehe, sie haben mal ’n Gläschen zu viel getrunken, dann lassen sie die Sau raus, dass unsereins sich wie ’n impotenter Gartenzwerg vorkommt.«
Hahne über das Talent, das man aufbringen müsse, um in der DDR Kunst- oder Literaturkritiker zu werden: »Heute schon wissen, was morgen falsch ist.«
Über Letzteres musste Lenz lange lachen, Breuning aber zitterte. »Zügeln Sie sich doch bitte!«, mahnte er. »Ihretwegen kommen wir noch alle in Teufels Küche.«
Hahnes Antwort: »Da sitzen wir doch längst drin.«
Ging es um Breunings Geschäfte, wurde Hahne ebenfalls deutlich: »Ihnen hätte ich draußen nicht begegnen wollen. Typen wie Sie haben nicht nur die Wölfe betrogen, mit denen sie lustig mitgeheult haben, Sie haben auch noch die armen Kaninchen übers Ohr gehauen, die sowieso schon unter den Wölfen zu leiden hatten.«
Stierte Breuning daraufhin beleidigt vor sich hin, tröstete er ihn: »Aber machen Se sich nichts draus, Sie haben den Wolf ja nur gespielt, ich war einer.«
Auch über die Geschichte des Hohenschönhausener Gefängnisses wusste Hahne Bescheid. Kurz nach dem Krieg hätten die Russen hier Regie geführt und alles, was nach Nazi aussah, eingesperrt. »Mehr als zehn Prozent echte Nazis werden aber kaum darunter gewesen sein. Verrecken jedoch durften sie alle, wenn sie nicht gerade mit einer unerschütterlichen Gesundheit gesegnet waren.« Später habe die Stasi dann den Bau übernommen, ihm den nicht gerade einfallsreichen Namen »Lager X« gegeben und alles, was sie an Klassenfeinden kriegen konnten, hier festgehalten. Erst Anfang der sechziger Jahre sei der Neubaukomplex entstanden, in dem sie jetzt saßen, von Langzeitstrafgefangenen aus dem Lager X erbaut. »Auf diese Weise erfuhr draußen kaum einer was von diesem sozialistischen Alcatraz.«
Er war sehr eitel, der Hajo Hahne, sprach gern über sich, seine Fehler, seine Irrtümer, sein Wissen, seine Erkenntnisse. Diese Eitelkeit machte auch vor dem Wachpersonal nicht Halt. Keine Anweisung ohne Widerspruch, keine Unsicherheit der oft noch sehr jungen Männer ohne Hohn. Mindestens einmal am Tag bekam einer der Schließer oder Läufer sein »Ich bin auch nicht im Knast geboren« zu hören.
Zweimal in der Woche pinkelte Hahne sich in die zusammengelegten Hände und verrieb den Urin in seinem schütteren Haar. Eigenurin, so seine feste Überzeugung, half gegen Haarausfall. Und wo er doch sowieso kaum noch Haare hatte!
Beim gemeinsamen Duschen informierte er sie über seine Schwanzphilosophie. Während seiner Haftzeit habe er an anderen Untersuchungsgefangenen folgende, typische Charaktermerkmale ausgemacht: lang und gebogen – Künstlertyp, lang und gerade – Buchhalter, kurz und gerade – Bauer, kurz und gebogen – selbstständiger Handwerker.
Vor dem Einschlafen erzählte er gern von seiner Anna Karenina, die aus übergroßer Liebe zu ihm selbst in U-Haft gesessen habe, da er sie aber nicht in seine Fluchtpläne eingeweiht hatte, nur zur Bewährung verurteilt worden sei und ihm nun Geld und Pakete schicke, obwohl sie natürlich nicht mehr im Ministerium arbeiten durfte, sondern seither Gemüse verkaufe.
»Die weiß, was sie an mir hatte. Die liegt nachts im Bett und kriegt das Zappeln im Hintern, wenn sie an mich
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