Krokodil im Nacken
denkt.«
Anlass für Coswig, sich laut zu fragen, ob eine so schwanzfixierte Frau wohl anderthalb Jahre lang treu sein konnte. Für Hahne jedoch hatte Treue keine Bedeutung: »Nach der ersten Nacht mit mir hat sie alle ihre zwischenzeitlichen Herren vergessen.«
Wenn alles Gerede langweilig wurde, weil die Gespräche sich mit der Zeit im Kreis drehten, spielten sie Schach oder knobelten. Im Schach errang jedes Mal Coswig die Zellenmeisterschaft, im Knobeln erwies Lenz sich als Champion, sehr zu Hahnes Verdruss. Zuvor hatte er geprahlt, im Knobeln sei er unschlagbar, er errate fast immer, wie viele Streichhölzer die anderen in der Hand hielten; in Lenz fand er seinen Meister. Das nagte an seinem Ego, darunter litt er.
Lenz musste ihn trösten: »Mach dir nichts draus, Hajo. Große Männer wachsen an kleinen Niederlagen.«
Wie hatte Lenz’ Leben sich verändert! Er hatte zu rauchen, bekam jeden Nachmittag seinen Tee, Coswig und Hahne gaben von ihren Paketen und Besuchermitbringseln ab. Sie bekamen die Zeitung und jede Woche durfte er sich unter acht Büchern die aussuchen, die ihn am meisten interessierten. Vor allem aber hatte er, dank Hahne, endlich eine konkrete Hoffnung.
Das Unangenehme am Zusammenleben von vier Menschen auf so engem Raum war, dass niemand von ihnen auch nur für eine einzige Sekunde am Tag mit sich allein blieb. Nie wurden drei zur gleichen Zeit zur Vernehmung geholt, nur selten einmal wollten sie alle gleichzeitig schweigen. Wurden sie im selben Moment unruhig und wollten sich bewegen, mussten sie Verkehrsregeln aufstellen, damit sie einander nicht in die Quere kamen. Das war nur vordergründig lustig. Und natürlich: Ständig saß einer auf dem Klo oder schlug Wasser ab, und wer furzen musste, konnte nicht rausgehen; furzen aber musste man, wollte man nicht auch noch unter Blähungen leiden.
Andererseits war immer jemand zum Reden da. Sackte einer von ihnen ab, wurde er aufgefangen. In dieser Hinsicht unterstützten sich sogar Hahne und Coswig; allein Breuning vermochte es nicht, den Fänger zu spielen.
Das Misstrauen unter den drei jüngeren Männern aber blieb und verstärkte sich noch, als Hahne und Coswig eines Abends feststellten, dass sie eine Zeit lang mit demselben komischen Dresdner auf einer Zelle gelegen hatten: Bertie Neudecker mit dem übermäßig dicht behaarten Körper und dem welligen schwarzen Haar. Sollte das ein Zufall gewesen sein? War es möglich, dass dem so perfekt durchorganisierten Stasi-Apparat ein solcher Fehler unterlaufen war? Oder steckte irgendeine Absicht dahinter? Vor allem irritierte sie, dass jener Bertie jedem von ihnen eine andere Fluchtgeschichte erzählt hatte. Coswig hatte er aufgetischt, er habe im Kofferraum des Wagens eines mit ihm befreundeten westlichen Diplomaten über die Grenze gewollt, sei von Grenzposten entdeckt, verhaftet und während der ersten Verhöre böse zusammengeschlagen worden; Hahne hatte er erzählt, er habe mit dem Segelboot über die Ostsee nach Dänemark gewollt, sei aber von seiner Frau, die er nicht mitnehmen wollte und die ihm nachspioniert habe, verraten und deshalb schon auf dem Weg zu seinem Boot verhaftet worden.
Erste Frage: Hatten Coswig und Hahne wirklich mit demselben Bertie Neudecker auf einer Zelle gelegen? Stark behaarte Schwarzhaarige gab es schließlich genug.
Antwort: Beide erinnerten sich an ein birnenförmiges Muttermal auf der rechten Hinterbacke von Neudecker, das konnte kein Zufall sein.
Zweite Frage: Weshalb hatte dieser Neudecker jedem von ihnen eine andere Fluchtgeschichte erzählt? Das wäre, nur um sie auszuhorchen, doch gar nicht nötig gewesen. War er vielleicht nur ein Spinner, ein Wichtigtuer?
Antwort: Jeder der beiden hatte die zu seiner eigenen Fluchtgeschichte passende Variante zu hören bekommen; Coswig, der über eine Militärmission in den Westen wollte, die vom Diplomatenfreund, der Weiberheld Hahne die von der Denunziantin aus verratener Liebe.
Breuning: »Aber wozu denn?«
Antwort: Damit sie sich angeregt fühlten, selbst auszupacken.
Lenz: »Und? Habt ihr ausgepackt?«
»Hab dem Mistkerl alles erzählt.« Coswig schlug sich vor den Kopf. »Also deshalb hat mein Vernehmer manchmal so gezielt gefragt. Hab mich schon gewundert …«
Hahne: »Jetzt weiß ich, weshalb dieses Schwein Sonderverpflegung bekam. Hat mir den Magenkranken vorgespielt, dieses Stück Scheiße.« Ein kurzer Blick zu Coswig, der nickte; auch die Sonderverpflegung stimmte.
Was für ein Gespräch! Lenz
Weitere Kostenlose Bücher