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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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werden durfte?
    Er schaute auf Lenz’ Zigarette, dieser Doktor jur.; sein Mandant schien ihm zu langsam zu rauchen.
    »Und wie lange wird es noch dauern bis zum Termin?«
    »Februar, März?« Dr. Starkulla blickte auf seine Armbanduhr, erhob sich und machte ein bedauerndes Gesicht. »Wir sind leider unter Zeitdruck. Haben Sie noch Fragen?«
    Wie oft während seiner Zellenmarathons oder in den vielen Nächten, in denen er sich schlaflos auf seiner Pritsche wälzte, hatte Lenz sich sein erstes Gespräch mit dem Rechtsanwalt, der Hannah und ihn vertreten würde, in allen Einzelheiten ausgemalt. Reden hatte er entworfen und teilweise auswendig gelernt, weil er so viel vorzubringen hatte und nichts vergessen wollte; und voller Hoffnung war er gewesen, endlich mal jemanden zu treffen, der Hannah und ihn nicht anklagte und kein Mitgefangener war, sondern schon aus Berufsgründen auf ihrer Seite stehen musste. Als der Bandwurm ihm sagte, dass es zum Rechtsanwalt ging, hatte er fast Vorfreude auf dieses Gespräch empfunden. Nun das: Frust statt Hoffnung, Floskeln statt Zuwendung! Über den Fall Lenz wollte er gar nicht erst reden, dieser Ersatzvogel, weil hier ja die Wände Ohren hatten. Ihre Festnahme fernab jeder Grenze – kein Thema! Vorbereitung und Einstimmung auf die Verhandlung, das zu erwartende Strafmaß, ihr Leben im Strafvollzug – Fehlanzeige! Recht oder Unrecht, was geht’s uns an; die Familienzusammenführung ist beantragt, wozu Zeit verlieren mit irgendwelchem Mandanten-Gewäsch … Nein, Lenz hatte keine Fragen mehr.
    »Möchten Sie noch ein paar Zigaretten mit auf den Weg nehmen?«
    Er bekam die Packung Duett in die Hand gedrückt, in der nur jene Zigarette fehlte, die er schon geraucht hatte, dann griff Dr. Starkulla zum Telefonhörer. Der Untersuchungshäftling Lenz konnte zurück- und der nächste Mandant vorgeführt werden. Für den würde das Anwaltsbüro Vogel in der Zwischenzeit sicher schon die nächste Packung Duett öffnen.
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Ihre Angelegenheit ist bei uns in den besten Händen.«
    Ein fester Händedruck, ein aufmunterndes Lächeln und der Sommersprossige führte Lenz in seine Zelle zurück. Dort angekommen, lehnte Lenz sich erst mal nur gegen die Wand. Wie viele Filme hatte er gesehen, wie viele Romane gelesen, in denen Rechtsanwalt und Mandant sich in langen Gesprächen auf ihren Prozess vorbereiteten, Winkelzüge ausheckten, Absprachen trafen. Ein Dr. Vogel musste sich mit solchem Kinderkram nicht beschäftigen … Ihm wurde bewusst, dass er ganz vergessen hatte, den Spionagevorwurf zu erwähnen, der ihm doch die größte Sorge bereitete, und Wut überkam ihn. Er hätte die Tür einschlagen, schreien, heulen, toben mögen. Weshalb nur hatte er sich so überrumpeln lassen? Wieso hatte er sich nicht gewehrt und stur jeden einzelnen Punkt angeführt, den er geklärt haben wollte? Was kümmerte ihn denn der Zeitdruck dieses Dr. Starkulla …
    Im Lieferwagen erneut Hannahs Husten. Es klang verzweifelt, tränenerstickt. Lenz hustete zurück. Es sollte optimistisch klingen. Doch wie hustet man optimistisch? Noch dazu, wenn man sich verschaukelt vorkommt?
    Auf der 327 musste er berichten. Jedes seiner Worte erfüllte Hahne mit Genugtuung. »So läuft’s ab in diesem Ramschladen – Ausreisen am Fließband! Da wird eben nur jeder unbedingt notwendige Handgriff getan.«
    Coswig konnte in Dr. Starkullas Antworten keinerlei Hinweise auf eine bald stattfindende Familienzusammenführung entdecken: »In nichts sagende Gespräche kann man alles hineininterpretieren.« Breuning interessierte sich nicht für anderer Leute Schicksal.
    Mal neigte Lenz Hahnes Interpretation zu – immerhin hatte dieser Dr. Starkulla ihm doch verschwörerisch zugezwinkert –, mal wogen Coswigs Zweifel stärker: Was hatte er trotz all seiner Zwinkerei denn wirklich gesagt, dieser nette Herr Doktor mit den teuren Zigaretten? Dass sie sich bemühen wollten, nichts anderes!
    In der Nacht sah er Hannah vor sich: in dem engen Verschlag des Gefängnistransporters; in einer der alten Zellen, wie sie an der Tür stand und lauschte; in diesem kahlen Vernehmungszimmer, wie sie dem auf Eile drängenden Dr. Starkulla gegenübersaß. Meine Kinder, mein Mann, meine Schwester, die Ausreise, das Strafmaß – sie wird nichts anderes gefragt haben. Aber Hannah hatte nicht seinen Galgenhumor, das musste ihr dieses Gespräch noch viel schwerer gemacht haben. Er streckte die Hand aus, wie sie es beide fast jede Nacht

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