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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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sie dachten ja nicht daran, sich diesen schönen Nachmittag durch Arbeit verderben zu lassen.
    Tags darauf bekam Lenz die Papiere, Fackelberg – ein halbes Jahr länger im Verlag – kam mit einer Verwarnung davon.
    Wieder das Arbeitsamt, und diesmal saß Lenz keiner sanftäugigen Romantikerin gegenüber, sondern dem seit seinen unvergessenen Heldentaten greise gewordenen Führer der Deutschen persönlich: glänzende Glatze, die letzten paar, sehr lang gehaltenen Haare führermäßig in die Stirn gekämmt, dazu das berühmte Rotzfängerbärtchen. Alles ist zu regeln, verrieten diese feldherrenmäßig geschulten, in irgendeine imaginäre Weite blickenden Augen, lasst mich nur machen.
    Lenz beschloss, nicht erst lange von Büchern und vom Lesen zu erzählen, sondern gleich zur Sache zu kommen, und eröffnete seinem stirnrunzelnd lauschenden Gegenüber ultimativ, dass er endlich eine Arbeit brauche, die etwas einbringe. Nachdrücklich schilderte er seine Lage: vor fünf Monaten aus dem Jugendheim entlassen, keine Eltern, keine Anverwandten, die helfen konnten, keine Möbel, kaum was auf dem Hintern – Hunger!!!
    Der Führer sah Lenz lange an. »Vater im Krieg gefallen?«
    »Ja.«
    »Wo?«
    »In Russland.«
    Da nickte er bekümmert, der Schuldige an allem. Ja, die Sache mit den Russen! Wenn er doch damals nur nicht den Fehler gemacht hätte, auch noch die Russen anzugreifen. Aber dann bewegten ihn näher liegende Probleme und er zog einen Trumpf aus dem Ärmel: Kabelwerk Oberspree , draußen in Oberschöneweide, ob Lenz das vielleicht kenne?
    Und ob Lenz das Kabelwerk kannte! Waren Eddie und er in jener verrückten Silvesternacht denn nicht mit dem Kanu daran vorübergepaddelt?
    »Gut! Sehr gut!«, freute sich der Führer. Im KWO würden Be- und Entlader gesucht. Drei-Schicht-System, aber fünfhundert Mark im Monat würden dabei wohl herausspringen. »In guten Monaten sogar sechshundert. Ist kein Pappnasenkleben dort, sondern harte Arbeit, aber hart arbeiten müssen selbst Goldgräber, nicht wahr?«
    »Was be- und entladen die denn dort?« Fünfhundert Mark – das waren ja hundertfünfzig mehr als bei Richard Diek und hundert mehr als im Militärverlag.
    »Waggons. LKWs. Flussschiffe.«
    Klang irgendwie abenteuerlich. Also – warum nicht? Lenz fuhr nach Oberschöneweide, ein Stadtteil, der fast nur aus riesigen alten Fabrikanlagen bestand, die sich an der Spree entlangreihten, und der gern als Oberschweineöde verballhornt wurde, weil dort ansonsten nicht viel los war; er stellte sich vor und wurde eingestellt. Gleich am nächsten Tag sollte er anfangen. Pünktlich zur ersten Schicht, einer Mittagschicht, die um vierzehn Uhr begann, war er zur Stelle.
    Es war eine kleine Stadt, dieses Kabelwerk Oberspree , das vor dem Krieg zu den AEG -Werken gehört hatte; eine Stadt, die sich aus vielen einzelnen, backsteingelben Fabrikgebäuden und mehreren riesigen Werkhallen zusammensetzte. Unter den Dächern der Hallen schwebten Kräne entlang, die kleinere, größere oder imponierend mächtige, an langen Stahlseilen hängende, leere und volle Kabeltrommeln transportierten; bemerkte einer der Arbeiter eine über ihm heranschwebende Last nicht, dröhnten laute Warnsignale durch die Halle. Es gab die Starkstromkabelfabrik, in der an übermannsgroßen, laut ratternden Kabelwickelmaschinen aus den verschiedensten Drähten und Isolationsmaterialien armdicke Kabel verzwirnt wurden, es gab die Fernmeldekabelfabrik direkt an der Spree, in der die Wickelmaschinen nur so surrten und schnurrten und die gefertigten Produkte im Durchmesser nicht mal Kleinfingerformat erreichten, und es gab die Walzstraße, in der halb nackte, muskulöse Männer an langen Zangen glühende Metallschlangen durch die Luft wirbelten. Es gab die Drahtfabrik, die Chemiefabrik, das weitläufige, unterirdische Jutelager und viele andere Werkteile. Und zwischen all diesen Lager-, Fabrik- und Werkhallen kurvten auf schienendurchzogenen Werkstraßen kleine und große Gabelstapler herum, rumpelten Elektrokarren vorüber, brachte die Werkbahn Waggons mit leeren Kabeltrommeln oder entführte sie die frisch gewickelten Trommeln in alle Welt hinaus; jede einzelne an beiden Seiten mit einem großen schwarzen Dreieck und dem Kürzel VEB KWO gekennzeichnet.
    Lenz hatte sich zum Rohstofflager zu begeben, einem dreistöckigen, grauen Gebäude, ebenfalls direkt an der Spree gelegen, nur durch eine Krananlage und Unmengen von Stapeln aus Blei-, Kupfer- und Aluminiumbarren vom

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