Krokodil im Nacken
sie ist damit über alle Betten geturnt – nackend, nur den blauen Fetzen mit der aufgehenden Sonne über dem Hintern. Ein Bild wie aus einem sozialistischen Playboy .«
Coswig und Lenz sahen ihn vor sich, den blanken Hintern unter der aufgehenden Sonne, und mussten lachen. Gleich darauf erzählte Coswig, wie er seine Frau kennen gelernt hatte. Während einer Ferienfahrt mit Schülern habe er sich in die Kollegin für Sport und Mathe verliebt. »Rennen konnt se und rechnen, nur von Musik verstand se nichts. Also erschien ich ihr nicht so interessant. Na ja, da hab ich ihr eben eines Abends am Lagerfeuer so lange Fahrtenlieder vorgesungen, bis sie endlich mitbekommen hat, was für ’n toller Typ ich bin.«
Wieder wurde gelacht und nun war Lenz dran mit seiner Geschichte. Lenz aber wollte nicht erzählen, nicht an diesem Abend. Es hatten mehrere Wunder geschehen müssen, bis Hannahs und seine Wege sich kreuzten; das wäre eine zu lange Geschichte geworden und sie hätte auch nicht in die Stimmung dieses Abends gepasst.
»Ein andermal«, vertröstete er Coswig und Hahne. »Ich lauf euch ja nicht weg.«
Er lief ihnen dann aber doch weg, der Zellengenosse Lenz. Gleich nach den Weihnachtsfeiertagen wurde er in die Einzelhaft zurückverlegt. Eine Strafaktion? Knuts Rache für sein Verhalten während des Sprechers mit Hannah?
Weil wohl keine andere Einzelzelle frei war, kam er in den Frauentrakt. Hier gab es vor allem Schließerinnen, nicht nur Schließer, unter ihnen ein paar ganz furchtbare Zimtzicken. Die drei Schlimmsten taufte er Barockbein, Krummschwert und Köhlerliesel. Sie beargwöhnten ihn misstrauisch, wussten sicher, dass es sich bei dieser Verlegung um eine Strafmaßnahme handelte, und ließen ihn spüren, dass sie gewillt waren, ihm das Leben schwer zu machen. Versuchte er irgendeine Bitte vorzutragen, schlugen sie ihm die ab, bevor er sie ausgesprochen hatte; reagierte er daraufhin gereizt, verspritzten sie Gift; betraten sie seine Zelle, hielten sie Abstand, als wäre er ein unberechenbares, wildes Tier.
Besonders wenig Spaß machte die Verrichtung der täglichen Notdurft. War es schon nicht angenehm, von Männern durch den Spion beobachtet zu werden, während man auf dem Klo hockte oder ins Becken pinkelte, störte der Gedanke an ein Frauenauge im Spion erst recht.
Alle diese Frauen mit den oft verbissen wirkenden Gesichtern waren zwischen vierzig und sechzig; nicht eine einzige jüngere Schließerin lernte Lenz kennen. Im Männertrakt hatte er die gegenteilige Erfahrung gemacht, da war – außer dem Grauen – keiner über dreißig. Musste man als Frau erst ein gewisses Alter erreicht haben, um eine solche Vertrauensstellung bekleiden zu dürfen?
In der ersten Nacht nach der Verlegung – die vierte Zelle, die Lenz sich warm sitzen, warm wandern, warm liegen musste –, schlief er keine einzige Minute. Bis zum frühen Morgen lag er wach. Als sie ihn zu Breuning gelegt hatten, hatte er sich in seine Einzelzelle zurückgesehnt, jetzt fürchtete er wieder die Einsamkeit. Die Gespräche und das gemeinsame Zigarettendrehen mit Coswig und Hahne, wie würde ihm das fehlen! Er trauerte sogar Breuning nach. Sollte er doch jammern, sollte er furzen, der Alte, sollte er ewig nur an sein eigenes Wohlergehen denken; jeder Ärger lenkte ab.
Natürlich: Er hätte mit einer solchen Reaktion der Stasi rechnen müssen. Wenn er diesen Preis nicht umsonst gezahlt hatte, wenn er Hannah mit seinen Worten Mut gemacht hatte, wollte er die erneute Einzelhaft ja auch aushalten. Aber was, wenn sie ihm nicht glaubte und er ganz umsonst hier schmorte?
Am Morgen darauf startete er als Erstes einen Marathonlauf: Acht kurze Schritte von der Tür bis zu den Glasziegelsteinen, acht zurück. Dabei fiel ihm ein, dass Hahne von einer Unterbelegung des Hohenschönhausener Knasts gesprochen hatte – wegen der Amnestie – und man ihn vielleicht nur deshalb in den Frauentrakt verlegt hatte, um ihn mit Hannah in Kontakt zu bringen. War ja möglich, dass sie in der Zelle links oder rechts von ihm lag. Vielleicht hofften sie, er würde versuchen, ihr zuzumorsen, was er alles von Hahne erfahren hatte, damit sie auf diese Weise mehr über Hahnes Dr.-Vogel-Kenntnisse herausbekamen? Und auch, woher Hahne sein Wissen hatte …
Ein Verdacht, der ihn quälte. Immer wieder, wenn die Frauen der Station zur Freistunde, zur Vernehmung oder zum Duschen geführt wurden, trat er an die Tür und lauschte. Waren das Hannahs Schritte?
Auch in der
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