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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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herunter, die Hände konnten nicht mehr greifen, der Rücken schmerzte, die Beine zitterten, der Kopf glühte. Froh und glücklich, es geschafft zu haben, rissen sie Witze oder spielten sich Streiche. An seinem ersten Tag starrte Lenz nur stumm in die Spree. Worauf hatte er sich da eingelassen? Das war wahrlich kein Pappnasenkleben. Doch als die Männer beim Umziehen sagten, für einen Neuling habe er sich wacker geschlagen, war er stolz auf sich.
    Kupfer war angenehmer zu entladen. Die knapp anderthalb Meter langen, zwanzig Zentimeter starken Kupferbarren aus der Sowjetunion wurden in offenen Waggons transportiert und waren bereits gestapelt. Drahtseile drum, am Kran eingehängt und Daumen hoch – »Wasser, Wasser, Wasser!«, »Laaand, Laaand!« –, Daumen gesenkt.
    Besser bezahlt wurde Kupfer auch, denn verdient wurde nach entladenem Gewicht, nicht nach vergossenem Schweiß. Manchmal aber hatten die, die zum Entladen der Kupferwaggons eingesetzt wurden, großes Pech. Dann hatten die sowjetischen Freunde die Kupferbarren so schlecht gestapelt, dass sie während des Transports durcheinander gefallen waren und erneut aufgestapelt werden mussten. Immer zwei Mann einen Barren. Das ging ins Kreuz; da verwünschte man die deutsch-sowjetische Freundschaft, wäre lieber ins polnische Blei geschickt worden.
    Aluminium kam aus Hettstedt oder Schweden und oft über den Fluss. In Schuten, die tief im Wasser lagen. Doch Alu brachte keine Tonnen. Was nützte ihnen eine leichte Arbeit, wenn sie nichts verdienten?
    Auch Kalk entladen war nicht beliebt. Oft platzten die zentnerschweren Papiersäcke und stäubten alles weiß. Wie die Mehlwürmer sahen sie dann aus. Keine Arbeit aber wurde so gehasst wie das Entladen von Gruswaggons. Fürs Grusentladen gab es Extra-Arbeitskleidung: Unterwäsche, Arbeitsanzüge, Schürzen, Halstücher, eng anliegende Kappen. Sogar die Arbeitsschuhe mussten gewechselt werden. Und auch das schwarze Zeug wurde in prall gefüllten, oft aufplatzenden Papiersäcken geliefert. Wurden sie in den Grus geschickt, drang ihnen der Dreck bis unter die Vorhaut, wie gern gelästert wurde.
    Lenz traf es zum ersten Mal während einer Nachtschicht. Zu viert zogen sie sich um, zu viert marschierten sie los, denn die Gruswaggons wurden immer auf einem freien Platz entladen, der etwas entfernt lag. Dass er dabei sein würde, hatte von vornherein festgestanden; um seinen ersten Grus kam keiner herum!
    Es war eine wolkenverhangene, finstere Nacht, nur die Lichter an den Werkhallen, in denen die Kabelwickelmaschinen rotierten, blinkten spärlich. Sie hängten eine Leuchte in die Waggontür und los ging’s: Zwei Mann schleppten die schweren Papiersäcke heran, um sie mannshoch auf den Elektrokarren zu laden, der vor dem Waggon bereitstand, zwei Mann luden den Karren in der Chemiefabrik ab. Lenz war für den Waggon eingeteilt, die schlechtere Arbeit. Im Waggon war trotz der Leuchte an der Tür alles dunkel und nachdem sie die ersten Säcke angepackt hatten, wurde es sogar noch schwärzer. Wie sie husteten, wie sie spuckten, um diesen trockenen, ekelhaften Geschmack im Mund loszuwerden; wie ihnen der Schweiß helle Bahnen in die schwarzen Gesichter zog! Wischten sie den Schweiß weg, verschmierten sie den Staub zu schwarzer Farbe, ließen sie ihn rinnen, nervte das Gekitzel. Und mit jeder Minute wuchs der Durst. Trinken jedoch durften sie nichts, wollten sie den Kohlenstaub im Mund nicht auch noch in den Magen hinunterspülen.
    Es dauerte ewig lange, bis der erste Waggon leer war; der zweite nahm überhaupt kein Ende. Als sie gegen Morgen endlich fertig waren, zogen sie sich vor Mariechens Verschlag nackt aus – sie werkelte ja nur tagsüber darin herum – und ließen die schwarzen Grusklamotten liegen, wo sie gerade hingefallen waren. Es gab was zu lachen. Der Staub hatte seltsam surrealistische Schwarz-Weiß-Kunstwerke auf ihre Körper gezeichnet. In voller Schönheit flitzten sie unter die Dusche und wagten sich dort eine halbe Stunde lang nicht weg, spülten sich immer wieder den Mund aus, putzten sich drei- bis viermal die Zähne, schrubbten sich gegenseitig den Rücken ab und bekamen den schwarzen Dreck doch nicht gänzlich aus den Poren. Und erst recht nicht aus der Lunge. Noch stundenlang danach spuckten sie schwarzen Schleim.
    Angenehmer wurde die Arbeit, als Lenz die Führerscheinprüfung für Elektrokarren bestanden hatte und von Rattler immer öfter zum »Hupplfahren« eingesetzt wurde. Er zockelte gern mit

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