Krokodil im Nacken
und Holzinger spielte den Jovialen. »Bei mir hat auch der Kaiser a Loch im Oarsch, merkens sich des. Wer spurt, kann von mir alles habn, solchene Menschen aber, die ihr Spuil mit mir spuiln wolln …« Er zuckte die Achseln. »Die mach i fertig, klar?«
Nicht lange und der Flieger Lenz fiel ein zweites Mal auf. Diesmal während eines Nachtalarms. Alle mussten sie raus aus der Kaserne und sich vor dem Tor und rund ums Gelände im Kampfanzug in den Schnee werfen. Der Kompaniechef wollte die Alarmbereitschaft testen. Weil ihr Zug dabei nicht gut abschnitt und Holzinger sich blamiert fühlte, ordnete er ein sofortiges Strafexerzieren an. So ging es den Rest der Nacht die Chaussee rauf und runter; mal Schritt, mal Dauerlauf, mal Stechschritt. Bei eiskaltem Wind und Schneegestöber. Als sie dann gegen Morgen endlich auf ihre Stube zurückdurften und dachten, auf diese Weise wenigstens um den Frühsport gekommen zu sein, ließ Holzinger, kaum waren sie aus dem Kampfanzug gestiegen, sein übliches »Fertig machen zum Frühsport!« ertönen. Gio Waldmann, noch im Kampfanzug, ließ sich nur auf sein Bett fallen.
»Was solln des?«, herrschte Holzinger den kleinen, brünetten Mann an. »Aufi! Aufi! Kemma! Kemma!«
»Kann nicht mehr«, hauchte Gio, und jeder wusste, dass er nichts vortäuschte. Er war ein schlechter Soldat, der Flieger Giovanni Waldmann, war unsportlich, konnte nicht schießen, verstand die Befehle nicht, machte ständig alles falsch. Oft hätte er sich am liebsten schon des Morgens irgendwo hinverkrochen, wo ihn bis zum Abend niemand sah. Holzinger hasste ihn deshalb geradezu; Tiefflieger wie Waldmann, so seine ständige Nörgelei, senkten das Niveau des gesamten Zuges.
»Redens koan Kas! Wenns net gleich Ihre Wampn vom Bett hebn, scheich i Sie drei Tage lang durchn Woid, bis koa Haxn mehr hobn.«
Er brüllte den kleinen Gio förmlich von seinem Bett, der Holzinger, und begann den Frühsport mit einem längeren Geländelauf. Doch liefen sie alle nur sehr langsam, Gio zuliebe. Holzinger tobte und ließ sie Liegestütze machen, bis ihnen die Arme wegknickten. Mittendrin, sie pumpten noch und wollten es nicht glauben, heulte erneut die Alarmsirene los. Weil die Alarmbereitschaft in der Nacht so mangelhaft gewesen war, musste sie trainiert werden. Der aufgeregte Holzinger hetzte sie in die Kaserne zurück – raus aus dem Trainingsanzug, rein in den Kampfanzug – und erneut runter in den Schnee. Sie waren etwas schneller als in der Nacht, aber lange nicht schnell genug. Weshalb Holzinger ein weiteres Strafexerzieren anordnete. Und da, bei einem Dauerlauf, brach Gio zusammen. Seine beiden Nebenmänner mussten ihn in die Mitte nehmen und im Laufschritt mitschleppen.
Zurück in der Kaserne herrschte Spannung: Würde Holzinger den unterbrochenen Frühsport fortsetzen? Sie hatten ihre Kampfanzüge noch nicht ganz aus, da ertönte es schon: »Fertig machen zum Frühsport!«
Gio Waldmann sah nur ungläubig von einem zum anderen, dann setzte er sich auf sein Bett und weinte. Und stand nicht mehr auf. Holzinger konnte fluchen und brüllen, so viel er wollte, der kleine Gio Waldmann, dreiundzwanzig Jahre alt, von Beruf Geflügelzüchter, beheimatet in einem Dorf nicht weit von Berlin, Sohn eines nie wieder aufgetauchten italienischen Zirkusartisten und einer einstmals für alles Südländische leicht entflammbaren Dorfschönheit, verweigerte den Befehl.
Vor Zorn kochend klärte der Feldwebel Holzinger den Flieger Waldmann darüber auf, was eine solche Befehlsverweigerung für Folgen haben konnte – bis er auf einmal voller ungläubigen Staunens bemerkte, dass der Flieger Lenz, der schon wie alle anderen im Trainingsanzug bereitgestanden hatte, sich dieses Trainingsanzuges wieder zu entledigen begann. »Was solln des?«, herrschte er ihn an.
»Wir hatten heut schon Frühsport«, lautete die lakonische Antwort.
»Sinds narrisch worn?«
»I net!«
Dem Genossen Feldwebel verschlug es die Sprache. Dass einer von diesen Rotärschen es wagte, seinen Dialekt durch den Kakao zu ziehen, war zu stark. Doch was sollte er tun? Zwei Befehlsverweigerungen an einem Morgen würden auch ihm nicht gut bekommen. So polterte er schließlich nur: »Dreimal ums Objekt! Sofort!«
»Zu Befehl, Genosse Feldwebel!« Lenz räumte seinen Trainingsanzug in den Schrank, stieg in Dienstanzug und Stiefel und rannte die Kasernentreppe hinunter. Erst hin zum Tor, so war es Brauch, dann innerhalb des Geländes drei Runden ums Objekt. Wenn er
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