Krokodil im Nacken
wusste, dass niemand ihn beobachten konnte, verschnaufte er und fragte sich, wie alles weitergehen sollte. Er hatte sich vorgenommen, diese anderthalb Jahre wie kaltes Wasser an sich ablaufen zu lassen, wollte jeden unnötigen Ärger vermeiden, aber durften sie diesem Holzinger denn alles durchgehen lassen? Sollten sie sich schikanieren lassen, nur weil da einer hoffte, bald Oberfeldwebel zu werden?
Als er auf die Stube zurückkehrte, waren alle anderen schon in den Waschräumen. Holzinger hatte auf die Fortsetzung des unterbrochenen Frühsports verzichtet und wollte offensichtlich auch Waldmanns Befehlsverweigerung nicht melden. Nur gedroht hatte er noch, das werde er sich merken und selbstverständlich werde der versäumte Frühsport irgendwann nachgeholt. Alles lachte: Rückzugsgefechte! Der »Hundzinger« wollte vor seinen Vorgesetzten nicht als einer dastehen, der seine Truppe nicht im Griff hatte.
Gio Waldmann nickte Lenz nur dankbar zu.
Die Ausbildung an der Waffe! Nur widerwillig nahm Lenz die ihm übergebene Kalaschnikow in die Hand, sein ganz persönliches Schnellfeuergewehr, dessen Nummer er sich einzuprägen hatte, weil er von nun an mit dieser »Braut« verheiratet war.
Unterleutnant Schwalmstein, bebrillt, rotbäckig und schon etwas feist, merkte ihm diese Antipathie an. »Na, das wird wohl ’ne Zwangsehe«, witzelte er und klärte den Flieger Lenz mit vielen gemütlichen Worten darüber auf, dass Waffen an sich ganz harmlos seien. Komme ja immer nur auf den Zweck an, für den sie in die Hand genommen würden. Die Verteidigung der sozialistischen Heimat, ganz klar, sei ein guter Zweck; würde die gleiche Waffe aber im Interesse imperialistischer Aggressoren eingesetzt, sähe die Sache schon anders aus. »Noch einfacher ausgedrückt: Die Pistole in der Hand des Verbrechers bedeutet eine Gefahr, die in der des ihn dingfest machenden Polizisten einen Schutz für alle friedlichen Menschen.«
Andere Rekruten, darunter so mancher, der ansonsten alles Militärische strikt ablehnte oder sich zuvor lauthals als Pazifist zu erkennen gegeben hatte, erlagen der Faszination ihrer Braut. Plötzlich waren sie wieder kleine Jungen, die Sheriff und Bandit, Cowboy und Indianer spielen wollten.
Holzinger: »Wartets nur, bis ihr amoi a Magazin mit scharfer Munition bekommt. Wie des den Rücken strafft!«
Das Auseinandernehmen und Zusammensetzen der Kalaschnikow – ein Gottesdienst! Sie mussten sie auswendig lernen, die verschiedenen funktionalen Teile ihres Eheweibs … Hier kommt das Magazin rein, dieser Hebel befördert die Patrone weiter, dort wird von Einzel- auf Dauerfeuer umgestellt, so wird die Waffe nach Betrieb gesichert. Holzinger: »Kimme und Korn kennts ja scho von der Freindin her, wos?«
Auch das Waffenreinigen wurde zur rituellen Handlung. Magazin rausnehmen, auf den Hocker legen, langsam durchladen und von der Seite reinsehen, ob nicht doch noch eine Patrone im Lauf war – sollten schon schlimme Sachen passiert sein –, Gehäusedeckel abnehmen, den Reinigungsstab, das Schloss. Mit Pfeifenreiniger rein in den Überströmkanal. Holzinger: »Net so vuil Öl, ihr Deppn! Abspritzn könnts auf Muattas Muschi.«
Ließ der Erste etwas fallen, sei es einen Teil der Waffe oder auch nur den Pfeifenreiniger: zehn Liegestütze! Ließ der Zweite etwas fallen: fünfzehn! Der Dritte: zwanzig! Und immer so weiter. Waren Platzpatronen verschossen worden und der Lauf war rußig und schmierig, wurde es zur mühseligen Angelegenheit, ihn wieder blank zu bekommen. Dennoch: Kein Staubkörnchen durfte zu sehen sein, und wenn der Ehemann drei Stunden an seinem Frauchen herumputzte.
Zur ersten Schießübung fuhren sie auf einen fünfzig Kilometer entfernten Schießplatz; auf LKW-Holzbänken, Dunstkiepe auf, das Frauchen zwischen den Knien. In einem schmalen Tal wurde gehalten. Militärisches Sperrgebiet, keiner musste befürchten, einen Spaziergänger auf sein Gewissen zu laden.
Zehn Schuss scharfe Munition pro Schütze wurden ausgegeben, jeder musste sie eigenhändig in sein Magazin drücken. Geschossen werden sollte, im Anschlag liegend, auf die in einiger Entfernung vor einem Sandhügel aufgebauten Pappkameraden; schwarze, in Umrissen menschenähnliche Zielscheiben, auf denen in Herzhöhe weiße, nummerierte Kreise angebracht waren.
Lenz wartete darauf, dass sich sein Rücken straffte. Er wartete umsonst. Holzinger hingegen bekam vor Ehrgeiz glänzende Augen. Er wollte, dass sein Zug gut abschnitt, war
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