Krokodil im Nacken
Ihresgleichen wollen Individualisten sein. Hier gefällt Ihnen dies nicht, dort jenes. Sie werfen uns vor, die Wahrheit okkupiert zu haben, dabei wollen Sie sich doch nur selbst zum obersten Richter aufschwingen. Mal ein Hieb nach links, mal einer nach rechts – aber ist es denn so schwer zu kapieren, dass man zu bestimmten Zeiten Partei ergreifen und nicht einfach immer nur aufpicken darf, was einen gerade wieder mal stört?«
Er wünschte sich Autoren, die im Gleichschritt dachten. Wusste er, in welche Reihe er sich damit stellte? »Dichter muss sein wie ein Soldat«, hieß es schon bei den Nazis, »in Reih und Glied marschieren …« Lohnte es sich, ihm das zu sagen?
Knut: »Den großen humanitären Gedanken, dass der Mensch nicht nur für sich, sondern für die Sache der Menschheit arbeiten soll, haben doch nicht wir erfunden. Den gibt’s seit Jahrtausenden, der ist in allen Religionen enthalten. Und ist es denn nicht so, dass gerade Menschen, die über ihre engen persönlichen Interessen hinaus wirksam werden, die größten Leistungen erzielen?«
Wieder kroch Angst in Lenz hoch. Wieso kämpft der so um dich? Geht es ihnen tatsächlich allein um die Kinder? Aber sie wissen doch, dass du Hannah liebst und dich niemals von ihr trennen würdest … Und Hannah nicht dich und die Kinder im Stich lassen würde; da müssten sie sie schon mit Gewalt über die Grenze schieben …
Knut: »Verraten Sie mir doch mal, was Sie von den DDRAutoren halten, die nicht Ihre Probleme haben.«
Sag’s ihm, Manne! Zeig ihnen, dass sie auf dich nicht mehr hoffen dürfen. Er zündete sich erst noch eine Zigarette an, dann legte er los. Es gebe viele sehr kluge und sehr gute Schreiber und Schreiberinnen in der DDR, er bewundere sie aber vor allem für ihre Geduld. Immer wieder Probleme mit dem Zensor, den es offiziell gar nicht gibt, immer wieder zwischen den Zeilen schreiben müssen! »Ich glaub nicht, dass das viel Spaß macht. Vor allem, weil man sich ja irgendwann fragen muss, wo denn die List aufhört und die Feigheit beginnt.«
Der Leutnant schrieb eifrig mit.
Jene Schönfärber und Verbreiter von Halbwahrheiten aber, die schon lange keine Literatur mehr verfassten, sondern sich als Volkserzieher im Auftrage des Staates betätigten, fuhr Lenz fort, die seien nicht der Rede wert. »Anstatt sich von der Macht fern zu halten, lassen sie sich von ihr zu Werkzeugen degradieren; anstatt ihren Mächtigen auf die Finger zu klopfen, reagieren sie sich am fernen Gegner ab. Fehlentwicklungen im eigenen Land übersehen sie, weil sie dem ›Feind‹ kein Material liefern wollen.«
Der Leutnant schüttelte seine Schreibhand aus, dann schrieb er weiter mit.
»Ist ja alles menschlich«, diktierte Lenz ihm. »Schöne Reisen, auch in westliche Länder, gute, sichere Verdienstmöglichkeiten, dazu Wohnungen oder Häuser in bester Wohnlage – bei solchen Belohnungen für gute Taten wird eben mancher schwach. Aber das ist ja nichts Neues, das war schon immer so. Intellektualität und Charakter trifft man nicht unbedingt gemeinsam an.«
Der Leutnant sah auf. Ein mokantes Lächeln umspielte seine Lippen. »Was das Reisen betrifft, waren Sie doch selbst ein Privilegierter.«
»Hab dafür aber nicht Männchen gemacht, wie in meiner Kaderakte nachzulesen sein dürfte.«
»Lassen wir das!« Der Leutnant winkte ab. »Kommen wir zum Kernpunkt des Ganzen: Ist Fortgehen denn nicht auch feige? Eine Flucht vor den Problemen, mit denen Sie sich ja eigentlich auseinander setzen wollen, nach Ihrem Selbstverständnis sogar müssen?«
»Gibt leider keine Alternative.«
»Wirklich nicht?«
»Nein. Ich will so schreiben, wie ich denke. Meine Texte aber hätten mich nicht in die Bibliotheken und Buchhandlungen, sondern genau dahin gebracht, wo ich mich jetzt befinde. Paragraph 106, sagten Sie, oder?«
Der Leutnant schaltete das Radio aus. »Dass Ihre ablehnende Haltung gegenüber unserem Staat vielleicht nur damit zu tun hat, dass Sie kein Vertrauen zu uns haben – auf diese Idee kommen Sie nicht? Entgegen Ihrer Behauptung gibt es bei uns schon längst keine Tabuthemen mehr. Hätten Sie in letzter Zeit gründlicher unsere Medien verfolgt, anstatt sich vom Gegner beeinflussen zu lassen, wüssten Sie das vielleicht.«
Er spielte auf eine viel zitierte Honecker-Rede an, klammerte aber einen wichtigen Nebensatz aus. Was hatte der Genosse mit den vielen Titeln denn wirklich gesagt? Es solle in Kunst und Literatur keine Tabus mehr geben, wenn von der
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