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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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zurück, damit Lenz den Pullover – spinatgrün mit V-Ausschnitt – besser sehen konnte. »Hab ich vorige Woche gekauft, im Warenhaus am Alexanderplatz. Auch die Schuhe« – er hob ein Bein, damit Lenz auch die neuen braunen Schuhe nicht verborgen blieben – »brandneu! Im Schuhladen an den Rathaus-Passagen. Jede Menge Auswahl.« Er strahlte zufrieden. »Ja, das alles gibt’s jetzt bei uns zu kaufen.«
    Lenz wurde blass. Glaubte etwa der Leutnant nach all den Gesprächen, die sie miteinander geführt hatten, es wäre nur irgendeine Klamotten-Geilheit, die Hannah und ihn dazu bewogen hatte, in die Bundesrepublik ausreisen zu wollen? War er mit seinem Wer-ist-wer immer noch nicht fertig?
    »Was sagen Sie dazu?«
    »Herzlichen Glückwunsch!«
    Der Leutnant musterte Lenz aufmerksam, dann stellte er das Radio etwas leiser. »Ich wollte Ihnen damit nur zeigen, dass wir auch auf dem Sektor der Konsumgüterproduktion inzwischen Weltniveau erreicht haben.«
    Lenz wies auf das Radio. »Und was sollen diese Töne? Haben inzwischen auch unsere Schlagersternchen Weltniveau erreicht?«
    »Musik am Arbeitsplatz lockert auf.«
    Nicht dumm, Knutie! Willst eine weiche Stimmung erzeugen. Einer, der so lange nur sein eigenes Summen gehört hat, weil Singen und Pfeifen ja verboten ist, muss noch bei dem blödesten Schmusesong dahinfließen; der Wunsch, hier rauszudürfen, wächst an und auch die Redseligkeit wird ungemein gefördert. Doch wozu das Ganze bei einem, der bereits gestanden hat? Lenz fragte sich das und Angst überfiel ihn: Was, wenn sie beabsichtigen, nur Hannah ausreisen zu lassen? Hannah ist im Westen aufgewachsen, da haben sie keine Hoffnung mehr, sie noch zurückgewinnen zu können; du gehörst nach ihrer Ansicht zu ihnen, bist ein Kind der DDR. Bleibst du, geben sie dir Silke und Micha und haben damit ein gutes Geschäft gemacht: Einer geht, drei bleiben. Sie legen ja Wert auf Kinder; Kinder sind ihre Zukunft.
    Der Leutnant beobachtete Lenz ein Weilchen, dann lächelte er plötzlich freudig, griff in eine seiner Schreibtischladen und schob ein paar DIN-A4-Blätter vor Lenz hin. »Kennen Sie das?«
    Ein kurzer Blick – und Lenz wusste Bescheid: Sie hatten Texte von ihm gefunden; Gedichte, so gut versteckt, dass er vergessen hatte, sie noch vor ihrer Abreise zu vernichten. Er starrte auf die zum Teil schon vor Jahren beschriebenen Blätter und versuchte, sich zu fassen: Vorsicht! Das ist eine Überrumpelungsaktion. Erst die Musik, dann die Klamotten – alles reine Ablenkungsmanöver –, jetzt, aus heiterem Himmel, die Keule: deine Texte … »Haben Sie die jetzt erst entdeckt?«, versuchte er seine Bestürzung zu überspielen. »Tolle Leistung!«
    »Irgendwann werden wir immer fündig.« Knut gab zu, dass diese losen Blätter während der ersten Wohnungsdurchsuchungen übersehen worden waren. »Wir haben ja nicht gleich alle Möbel auseinander genommen.« Während einer abschließenden Durchsuchung seien sie jedoch gefunden worden, zwischen zwei zusammengeschraubten Regalwänden. »Echte Paukenschläge, muss ich sagen!«
    Die Gedichte, die da auf dem Tisch lagen, waren Paukenschläge, sonst hätte Lenz sie nicht so gut versteckt. Eines beschäftigte sich mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 – Refrain: »Nun marschieren wir wieder, hurra – hurra – hurra, nun singen wir wieder, hurra – hurra – hurra, die alten Volksbefreiungslieder!«; eines handelte von den Toten an der Mauer – »es feixt der Tod, denn Staates Not kennt kein Gebot«; eines von der Parteidisziplin – »und ein jeder spricht mit gesalbtem Gesicht von der Pflicht, von der Pflicht, von der Pflicht«.
    »Was haben Sie damit aussagen wollen?«
    »Sind die Texte nicht eindeutig genug?«
    »Oh! Tut mir Leid, hab ganz vergessen, dass es den Dichter beleidigt, seine Texte interpretieren zu müssen. Also versuch’s mal ich: Einerseits haben Sie damit die Politik unseres Staates verleumdet und unsere Werktätigen diskriminiert, andererseits wollten Sie unsere Bürger gegen ihren Staat aufwiegeln.«
    Es war plötzlich eine sehr ernste Stimmung im Raum; keinerlei Hohn, Spott oder Gegrinse mehr. Lenz überkam ein zwiespältiges Gefühl. Er dachte: Es ist gut, dass sie die Texte gefunden haben; jetzt wissen sie wenigstens, dass du endgültig für sie verloren bist. Andererseits befiel ihn Furcht. Sein Geschreibsel würde sie kaum milder stimmen. Staatsfeindliche Hetze, Staatsverleumdung,

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