Krokodil im Nacken
richtigen sozialistischen Position ausgegangen wird . »Und was ist mit solchen wie mir, die nicht von der ›richtigen Position‹ ausgehen?«
Knut, mal wieder empört: »Natürlich unterstützen wir keine antisozialistischen Tendenzen, das ist doch wohl klar! Schlägst du mir auf die eine Backe, halte ich dir auch noch die andere hin, was?«
»Wer schlägt denn hier wen?«
»Sie schlagen! Sie schlagen in Ihren Texten auf alles ein, was nicht Ihren Vorstellungen entspricht.« Der Leutnant hob Lenz’ Texte hoch und ließ sie auf den Schreibtisch zurückfallen, als hätte er sie gewogen und für zu leicht befunden.
Da zuckte Lenz nur noch die Achseln. Darauf gab es nichts zu erwidern.
»Ja, dann!« Der Leutnant setzte sich etwas gerader hin, nahm wieder seinen Kugelschreiber zur Hand und machte ein offizielles Gesicht. »Sie glauben also, innerhalb der Grenzen unseres Staates nicht leben zu können, weil Sie sich nicht so äußern dürfen, wie Sie wollen?«
»Das ist nicht der einzige Grund, wie ich bereits sagte, aber sicher nicht der unwichtigste.«
Er schrieb das auf, der Leutnant, dann lehnte er sich wieder in seinen Stuhl zurück. »Na, dann wissen wir jetzt ja Bescheid.«
»Das wäre gut«, antwortete Lenz freundlich. »Für beide Seiten.«
Sie musterten sich mal wieder, bis der Leutnant plötzlich fragte, ob Lenz, gesetzt den Fall, er erreiche sein Ziel, in die BRD ausreisen zu dürfen, dort eines Tages auch über seine Haftzeit berichten würde.
Lenz horchte auf. »Wie soll ich heute wissen, worüber ich morgen schreibe? Gibt vieles, was mich beschäftigt …«
»Als da wäre?«
»Die Dritte-Welt-Problematik, das Wettrüsten, die Kriege, die nicht aufhören wollen, die deutsche Vergangenheit, die auf beiden Seiten, in West und Ost, nicht ehrlich genug aufgearbeitet wurde … Aber natürlich ist die Situation eines Menschen, der monatelang in Einzelhaft gehalten wird, auch ein reizvolles Thema.«
»Na, da haben Sie sich ja allerhand vorgenommen.« Der Leutnant dachte einen Augenblick nach, dann seufzte er: »Gut! Das wär’s dann für heute. Haben Sie noch irgendeinen Wunsch?«
»Jetzt, da Sie mein Hobby kennen – vielleicht können Sie mir ja Papier und Bleistift bewilligen?«
Da lachte er, der Knut, war wieder ganz der große Junge: »Das fehlte noch! Im Knast Romane schreiben, Karl May spielen, was?«
»Karl May oder Karl Liebknecht – in den reaktionären Zeiten wurde offensichtlich manches großzügiger gehandhabt.«
Ein böser Blick, der Griff zum Telefon. »Wir wissen schon, was wir tun. Lassen Sie unsere Großzügigkeit mal ganz und gar unsere Sorge sein.«
Zwei Tage nach diesem Gespräch wurde Lenz erneut in den Vernehmungstrakt geführt. Die Protokolle, jetzt per Schreibmaschine ausgefertigt, mussten noch einmal Seite für Seite durchgelesen und unterschrieben werden.
In der Woche darauf übergab ihm der Leutnant eine Kopie der Anklageschrift. »Die dürfen Sie für ein paar Stunden in Ihren Verwahrraum mitnehmen.«
Lenz wollte die Seiten rasch überfliegen, der Leutnant machte eine abwehrende Handbewegung. »Keine Sorge! Wir haben die Spionage als Anklagepunkt fallen lassen. Es reicht auch so.«
Lenz blätterte trotzdem weiter, Knut schob ihm die Zigaretten hin. »Rauchen Sie lieber noch eine. Ist die letzte Gelegenheit, von mir eine Portion Gift angeboten zu bekommen.«
Lenz nahm sich eine Zigarette. »Abschiedsschmerz?«
»Wenn Sie es so nennen wollen.« Knut schien bereits gänzlich mit einem anderen Fall beschäftigt zu sein, er wirkte irgendwie abwesend. »Übrigens haben wir auch ihre dichterischen Ergüsse nicht weiter beachtet. Sie und Ihre Frau werden allein nach den Paragraphen 100 und 213 angeklagt, das allerdings im schweren Fall.«
Nur die staatsfeindliche Verbindung? Nur der illegale Grenzübertritt? Lenz hätte Erleichterung verspüren müssen, war aber viel eher verwundert: Was steckte hinter dieser »Milde«? War man in Sachen Spionage nicht fündig geworden? Waren Texte, die nicht verbreitet wurden, doch noch keine Hetze?
Der Leutnant ordnete irgendwelche Papiere. »Tja! Bei der Verhandlung werde ich nicht dabei sein können – also: Machen Sie’s gut!«
»Werd mir Mühe geben.«
Der Leutnant lächelte müde, griff nach dem Telefonhörer, zögerte kurz und brummelte noch irgendetwas vor sich hin, bevor er Lenz in seinen Verwahrraum zurückbringen ließ. Lenz sollte sich später immer wieder fragen, ob er richtig gehört hatte, doch gab es keinen
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